Der Bezirk Kufstein ist ein dynamischer Wirtschaftsstandort, der ungebrochen großes Potenzial hat. Hier sucht man, wie andernorts auch, nach Antworten auf die großen Zukunftsfragen. Auf die Frage, wie eine Gesellschaft und eine Wirtschaft zu organisieren sein wird, die sich langsam von fossilen Brennstoffen verabschiedet, die in der Mobilität den Verbrennungsmotor überwiegend oder ganz durch den Elektromotor zu ersetzen gedenkt und die endliche Ressourcen effizienter verwenden will, indem diese, wo es möglich ist, im Modus der Kreislaufwirtschaft im Kreis geschickt werden.
Wirtschaft der zwei Geschwindigkeiten
Diesen und anderen Fragen stellt sich Peter Wachter von Berufs wegen. Er leitet seit zehn Jahren die Bezirksstelle der Wirtschaftskammer Kufstein und kennt die hiesige Wirtschaft und die Verhältnisse. Im Hinblick auf die Befassung mit den drängenden ökonomischen Zukunftsfragen ortet er so etwas wie eine Zweiklassengesellschaft bzw. -wirtschaft. Während die großen Unternehmen, die mitunter in internationale Konzernstrukturen eingebettet sind, sich schon heute intensiv mit diesen Zukunftsfragen auseinandersetzen, kommen längerfristig angelegte Überlegungen im Tagesgeschäft vieler Klein- und Mittelbetriebe zu kurz, weil ihnen schlicht die Ressourcen für einen strategischen Umgang damit fehlen. Wo für hochtrabende Visionen wenig Raum bleibt, ist Pragmatismus gefragt. „Für den typischen Handwerksbetrieb ist es wichtig, dass es entsprechende Fördermodelle gibt, welche zum Beispiel die Energiekosten auf einem konkurrenzfähigen Niveau halten“, meint Wachter. Zu großen strategischen Überlegungen würde die Zeit nicht reichen, mit dem chronischen Mitarbeiter*innenmangel bei guter Auftragslage gebe es zudem andere, unmittelbarere Themen, die im täglichen Wirtschaften Priorität genießen.
„Fast jeder Betrieb sucht Mitarbeiter, die er momentan nicht findet“, sagt Peter Wachter. Bei der demografischen Entwicklung ist nicht zu erwarten, dass sich das so rasch ändern wird, es sei denn, es kommt eine unerwartet kräftige Rezession mit all ihren negativen Begleiterscheinungen daher. Das wünscht sich niemand. Aus dem jahrelangen Mangel an spezifischen Fachkräften, die fieberhaft und – wie es in diesem Zusammenhang gerne heißt – händeringend gesucht und nicht gefunden wurden, ist ein allgemeiner Arbeitskräftemangel geworden, von dem keine Branche verschont bleibt. „Die Situation ist mittlerweile dramatisch“, sagt Wachter, der schon seit Jahren keinen Betrieb mehr angetroffen hat, bei dem die personelle Lage nicht angespannt gewesen wäre. In Beherbergung und Gastronomie ist Personalmangel schon fast Tradition und besonders evident. „Man findet in vielen Orten kaum mehr ein Restaurant, das die ganze Woche offen hat“, beklagt Wachter. Das gastronomische Angebot ist ob der Situation am Jobmarkt längst eingeschränkt, und zunehmend müssen auch andere Branchen Federn lassen und können nicht in der Form wachsen, wie es die Auftragslage und wirtschaftliche Entwicklung zulassen würde. „Ob im klassischen Handwerk, im Handel, bei den LKW-Fahrern, bei Reinigungskräften, in der Pflege, wohin man auch schaut, es fehlt an allen Ecken und Enden“, weiß der Wirtschaftskämmerer.
Die Angst, dass die Digitalisierung und damit verbunden Automatisierung eine Jobvernichtungsmaschine sein könnte, hat sich gelegt. Ganz im Gegenteil könnte Automatisierung, wo sie sich anbietet, zur Entspannung der Situation beitragen. Doch nennenswerte Automatisierung sei, erklärt Wachter, auch wieder in erster Linie den größeren Unternehmen vorbehalten. Dort gibt es Potenziale und die Ressourcen, sich eingehend mit dem Thema zu befassen und entsprechende Maschinen anzuschaffen, die menschliche Arbeitskraft teilweise ersetzen können. „Die größeren Produktionsbetriebe automatisieren, wo es möglich und zielführend ist, bei einem Zimmerer oder einem Dachdecker ist das Potenzial aber vergleichsweise doch sehr beschränkt“, nennt Wachter ein Beispiel. Zudem sind hochqualifizierte Arbeitskräfte, die Maschinen bauen, warten, programmieren und bedienen können, äußerste Mangelware. Das hängt auch mit der Konkurrenz im Mechatroniksektor zusammen, die im benachbarten bayrischen Raum besonders groß ist.
Den Kufsteiner Betrieben fällt es nicht leicht, Arbeitnehmer*innen aus den Grenzregionen zu gewinnen. Es gibt natürlich Einpendler, aber mindestens ebenso viele Kufsteiner*innen arbeiten in Deutschland. Deswegen ist der Saldo zwischen Ein- und Auspendlern ungefähr null und trägt nicht dazu bei, die Situation in irgendeiner Weise zu entspannen. Dort, im angrenzenden Bayern, suche man auch nach Fachkräften, gibt Wachter zu bedenken. Ebenfalls „händeringend“, versteht sich. Wenn es hierzulande nicht mehr genügend Arbeitskräfte gibt, die man aktivieren könnte, müssen diese eben von woanders herkommen. Das gebietet die Logik. Deshalb müsste man es einfacher machen, qualifiziertes Personal ins Land holen zu können. „Das hören wir tagtäglich von unseren Unternehmen und das ist auch die Botschaft, die wir ständig an die Politik weitergeben“, sagt Wachter, dem diesbezüglich eine gewisse Resignation anzumerken ist.
Volatile Zeiten
Neben der prekären Personalsituation halten die hohen Energiepreise die Unternehmen im Bezirk auf Trab. Beides sind freilich keine Kufstein-spezifischen Probleme und folglich auch nur bedingt hausgemacht. Dennoch wäre es zu einfach, die Lösung dieser Herausforderungen nach außen, an nächsthöhere nationale, internationale, intergouvernementale Ebenen zu delegieren und selbst passiv zu bleiben. Trotz der kostenseitigen Herausforderungen – man könnte auch Zumutungen sagen – ist das Insolvenzgeschehen noch relativ ruhig und nicht höher als vor der Pandemie. Die Stunde der Wahrheit kommt vielleicht in diesem Jahr, denn durch verschiedene Kostensteigerungen, vor allem bei Energie und Krediten, dürften besonders Geschäftsmodelle bedroht sein, deren Margen ohnehin niedrig sind und die ihre gestiegenen Kosten nicht auf ihr Produkt oder ihre Dienstleistung überwälzen können. Für besonders energieintensive Unternehmen ist staatliche Unterstützung mitunter überlebenswichtig. „Die staatlichen Unterstützungsleistungen haben auch dazu beigetragen, die Aufregung rund um die Energiepreise etwas zu dämpfen“, sagt Wachter. „Die Zeiten sind insgesamt sehr volatil. Unternehmen können dadurch nur schlecht planen“, so der Experte aus der Kammer, der auf absehbare Zeit keine Beruhigung erwartet.
Teure Heimat, knapper Boden
Während manche Branchen boomen, herrscht in anderen Ratlosigkeit. Erfreulich entwickelte sich etwa der Tourismus, der stationäre Handel indes hat Probleme. Das ist allerdings auch kein Phänomen, das sich auf Kufstein beschränken würde, sondern ein zumindest mitteleuropäischer Negativtrend. Besonders kleine, familiengeführte Betriebe tun sich schwer, sich gegen die übermächtige Online-Konkurrenz zu behaupten und geben auf. Oft geschieht das auch, weil keine geeigneten Nachfolger gefunden werden, wenn eine altersbedingte Betriebsübergabe ansteht. Der Ausdünnung des Handels und den damit verbundenen Konzentrationstendenzen, die sich im Lebensmittelhandel in Österreich in einem Oligopol verfestigt haben, wird noch zu wenig Beachtung geschenkt. Konkurrenz belebt das Geschäft und sorgt dafür, dass die Marktmacht weniger Player nicht übergroß wird und in einem Preisdiktat für Kunden wie Lieferanten gleichermaßen gipfelt. Die meisten Lebensmittel sind im benachbarten deutschen Raum teils deutlich billiger als in Österreich, selbst wenn man die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze herausrechnet.
Ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung in Kufstein ist aber nicht nur das knappe Arbeitskräfteangebot, auch bei Gewerbeflächen herrscht Knappheit. „Immobilien sind teuer, das betrifft den Wohnraum genauso wie Gewerbeimmobilien“, hält Wachter fest. Jungunternehmer hätten kaum Möglichkeiten, sich etwas zu schaffen, weil die Preise für Grund und Boden so hoch seien. „Wir brauchen hier unbedingt Entwicklungsflächen und sind mit diesem Anliegen auch mehrfach beim Land Tirol vorstellig geworden. Die Raumordnung bremst uns diesbezüglich sehr ein“, weiß Wachter. Das Thema ist höchst sensibel, nicht nur in Kufstein. In ganz Tirol fehlt es an gemeindeübergreifender, koordinierter Raumordnung. „Es gibt hier einige konkrete Fälle. Wir bemühen uns seit mehreren Jahren, dass ein Handwerksbetrieb in Münster 1.400 Quadratmeter Fläche erwerben kann, die für Erweiterungen dringend gebraucht würden, aber als landwirtschaftliche Vorsorgefläche gewidmet sind.“
Zäher Verkehr
Kufstein leidet außerdem seit vielen Jahren unter dem Verkehr und in besonderem Ausmaß unter dem Schwerverkehr. Hieß es einst in Bezug auf die Inntalautobahn noch „Verkehr ist Leben!“, so hat sich dieser Leitspruch heute in sein Gegenteil verkehrt. „Leben statt Verkehr“ entspricht heute eher dem Zeitgeist. Die Verlagerung des Schwerverkehrs von der Straße auf die Schiene verläuft schleppend und wird von allen Beteiligten bestenfalls halbherzig verfolgt, auch wenn es auf der Tiroler Seite nachweislich besser aussieht als in Bayern. „Bayern kommt überhaupt nicht weiter. Dort wird noch über die Trassenführung gestritten. Bis es da eine Lösung gibt, wird der Brennerbasistunnel wohl wieder sanierungsbedürftig sein“, meint Wachter resigniert. Derweil behilft man sich mit Blockabfertigung und Dosierampeln gegen die Verkehrslawine. Eine schlechte Lösung für die transitgeplagte Region, aber eine bessere gibt es derzeit wohl nicht, zumal in der EU dem freien Warenverkehr Priorität gegenüber der Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung an den Hauptverkehrsadern eingeräumt wird. Peter Wachter hofft, dass mit der neuen Tiroler Landesregierung das zuletzt frostige Gesprächsklima mit der bayerischen Landesregierung wieder besser wird und für beide Seiten akzeptable Lösungen gefunden werden, die Wirtschaft und Bevölkerung gleichermaßen Luft zum Atmen lassen. „Die Blockabfertigung tut unserer regionalen Wirtschaft auch weh, weil dann auch für unsere LKW kein Weiterkommen ist“, sagt Wachter. Der Verkehr in und um Kufstein bleibt also eine zähe Angelegenheit.
Text: Marian Kröll
Foto: Tirol Werbung / Lisa Hörterer