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Wirtschaft

Schritt für Schritt

11.12.2025

Das Institut für Förderalismus (IFÖ) ist heuer 50 Jahre alt geworden, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 100. Wir haben uns mit IFÖ-Direktor Peter Bußjäger den Zustand des Föderalismus und den Raum für notwendige Reformen angesehen. Es gibt Sparpotenziale, allerdings sind sie nicht so groß, wie man gemeinhin annimmt. Der große Wurf ist nicht drin, Aufgabenreformen scheinen realistischer als Strukturreformen.
 
eco.nova: Welche Rolle spielt das föderale System in der aktuellen Budget- und Verschuldungsdynamik? Gibt es aus Sicht der Föderalismusforschung strukturelle Einsparungspotenziale? PETER BUSSJÄGER: Selbstverständlich wirkt sich die prekäre gesamtstaatliche Finanzsituation auch auf das föderale System aus. Es ist klar, dass nach Einsparungspotenzialen gesucht werden muss. Insbesondere ist danach zu trachten, die Behördenlandschaft zu lichten und Synergien durch Eingliederung von Sonderbehörden in die allgemeine Verwaltung zu erzielen. Als Beispiel wären etwa die Bildungsdirektionen zu nennen. Diese hybride Bund-Länder-Behörde sollte aufgelöst werden. Ihre Aufgaben können im Amt der Landesregierung erledigt werden. Ebenso könnte die Wildbach- und Lawinenverbauung mit der Wasserbauverwaltung der Länder zusammengelegt werden, die Aufgaben der Arbeitsinspektorate könnten in die Bezirksverwaltungsbehörden integriert werden. Natürlich haben aber auch Bund und Länder ihre Förderungen zu durchforsten und besser abzustimmen.
 
Welche empirische Evidenz gibt es dafür, dass Zentralisierung – oder Dezentralisierung – Kosten spart oder erhöht? Langfristig betrachtet haben sich alle entwickelten Staaten in den letzten fünf Jahrzehnten in die Richtung einer Dezentralisierung bewegt. Durch die Übertragung von Aufgaben von Zentralstellen auf dezentralisierte Einheiten können diese bedarfsgerecht erledigt und an die spezifischen Verhältnisse angepasst werden. Selbstverständlich gibt es auch Bereiche, in denen Schwerpunkte zu bilden sind, wie insbesondere bei den Krankenanstalten. Aber auch hier ist die regionale Gesundheitsversorgung von großer Bedeutung.
 
Über den Finanzausgleich verteilt der Bund das Steuergeld, das er einnimmt. Die Länder und Kommunen geben es aus und haben – bis auf wenige Ausnahmen – keine Steuerhoheit. Halten Sie dieses System der vertikalen Aufgaben- und Einnahmenverteilung noch für zeitgemäß? Die Forderung nach einer echten Steuerhoheit der Länder wird von der finanzwissenschaftlichen Seite massiv getragen und ich unterstütze das. Leider besteht sowohl beim Bund als auch den Ländern und den Gemeinden nur ein geringes Interesse an einer solchen Steuerautonomie der subnationalen Einheiten.
 
Statt echter Reformen findet da und dort ein wenig Verwaltungsbereinigung statt. Woran scheitert eine grundlegende Reform? Von welchen Akteur*innen gibt es Widerstände und wie werden diese begründet? Je ambitionierter die Reformbestrebungen sind, umso größer ist das Risiko des Scheiterns. Ich halte eine paketweise Vorgehensweise für die erfolgversprechendste. Je umfassender dagegen das Reformvorhaben ist, umso größer sind die Widerstände, ob diese nun aus den Bundesministerien oder den Ländern und Gemeinden kommen.
 
In welchen Politikfeldern wäre mehr Zentralisierung sinnvoll, in welchen mehr Dezentralisierung? Wie sähe eine optimale Aufgabenverteilung aus? Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht keine optimale Aufgabenverteilung. Wir haben Bereiche, in denen durchaus mehr gesamtstaatliche Steuerung wünschenswert wäre. Das Gesundheitswesen ist eine solche Materie, ohne dass man dabei auf die Zuständigkeit der Länder für die regionale Gesundheitsversorgung verzichten muss. Umgekehrt ist das Bildungswesen im internationalen Vergleich viel zu stark zentralisiert. Hier müsste man die regionale Bildungsverantwortung stärken. Auch im Bereich des Wohnens sollten die Zuständigkeiten der Länder ausgebaut werden.
 
Anstrengungen für umfassende Verfassungsreformen werden in Österreich im Keim erstickt oder – wie beim Verfassungskonvent 2003 bis 2005 – schubladisiert. Halten Sie eine solche Reform für grundsätzlich realisierbar? Der Österreich-Konvent ist nur an seinem Anspruch gescheitert, eine neue Verfassung für Österreich zu erarbeiten. Eine solche neue Verfassung ist auch nicht erforderlich, wohl aber partielle Erneuerungen. Der Österreich-Konvent hat für derartige Erneuerungen übrigens hervorragende Grundlagenarbeit geleistet. So zum Beispiel bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die aufbauend auf den Ergebnissen des Österreich-Konvents umgesetzt werden konnte und wesentlich zur Modernisierung des österreichischen Rechtsstaates beigetragen hat.
 
Wo gibt es Doppelgleisigkeiten, wo könnte man entflechten und Kompetenzen zwischen den Ebenen bereinigen? Gibt es so etwas wie „Paradebeispiele“ für das österreichische Kompetenzwirrwarr? Na ja, so arg ist das Kompetenzwirrwarr auch wieder nicht. Man weiß sehr genau, wer für was zuständig ist. Ich würde wie bereits gesagt viele Behörden der unmittelbaren Bundesverwaltung in den Ländern in die Landesverwaltung integrieren, die Bürokratie im Bildungswesen lichten und für eine bessere Abstimmung im Gesundheitswesen sorgen.
 
Wie ist die vielzitierte Devise „Sparen im System“ aus Sicht der Governance-Forschung zu beurteilen? Man muss bedenken, dass die Einsparungspotenziale in der Verwaltung nicht so groß sind, wie gerne vermutet wird. Ich frage immer: Wo wollen Sie denn gerne sparen? Beim Personal in den Krankenanstalten und Pflegeheimen, beim Lehrpersonal in den Schulen oder lieber bei der Polizei? Dann bleibt nur noch ein verhältnismäßig kleiner Rest, den man so als „Allgemeine Verwaltung“ bezeichnet. Aber es wäre ziemlich ignorant zu glauben, man könnte auf der Stelle sehr große Einsparungen erzielen. Durch bessere Nutzung der Digitalisierung und andere organisatorische Maßnahmen ist eine gewisse Reduktion der Ausgaben möglich, aber viel wichtiger ist eine Aufgabenreform. Die Struktur muss der Aufgabe folgen.
 
Wo sieht die Forschung so etwas wie „low hanging fruits“, realistische kurzfristige Einsparungsmöglichkeiten, die ohne große Verfassungsänderungen möglich wären? Die Quick-Wins erzielt man nur dadurch, dass sich der Staat – mit allen Konsequenzen, die das haben mag – aus bestimmten Aufgaben zurückzieht, beispielsweise indem er Förderungen streicht.
 
Wie bewerten Sie das Drei-Ebenen-Modell mit Bund, Ländern und Gemeinden? Leistet sich Österreich eine Verwaltungsebene zu viel? Bund und Länder sind keine Verwaltungsebene, sondern Träger von Gesetzgebungshoheit. Man muss da schon präzise sein. Der zentrale Irrtum besteht in der Annahme, dass ein Zwei-Ebenen-Modell günstiger sein soll. Das ist durch keinerlei empirische Ergebnisse gedeckt. Wieso soll ein Bundesgesetz günstiger sein als neun Landesgesetze? Kommt es nicht auf den Inhalt an? Ein einheitliches Gesetz kann viel mehr Bürokratie verursachen als neun Landesgesetze. Es hat also überhaupt keinen Sinn, sich mit der Eingangsfrage herumzuschlagen. Viel wichtiger ist es, zu analysieren, wie Bürokratie dadurch abgebaut werden kann, dass der Staat weniger Aufgaben wahrnimmt.
 
Wenn man Österreich auf einem leeren Blatt Papier neu ordnen könnte – wie könnte ein alternatives Bundesstaatsmodell aussehen? Man muss Österreich nicht neu ordnen, sondern die Bürokratie einbremsen, etwa dadurch, dass Wege gefunden werden, dass die österreichischen Beamten bei Verhandlungen in Brüssel dort nicht für strengere Vorschriften eintreten, die sie hier in Österreich nicht durchsetzen können. Es ist ein großes Problem, dass sich die Mitgliedstaaten in Brüssel Bürokratie bestellen, um sich dann auf die EU hinauszureden. Sinnvoll wäre eine gewisse Steuerautonomie von Ländern und Gemeinden, das würde das Verantwortungsbewusstsein steigern.
 
An welchen Ländern könnte sich Österreich in Sachen Kompetenzabgrenzung, effiziente Verwaltung und funktionierende Mehrebenensysteme ein Vorbild nehmen? Es gibt in allen föderalen Staaten Probleme mit der Kompetenzverteilung. Ich würde aber meinen, Österreich sollte von der Schweiz lernen, wie man mit föderaler Verantwortung umgeht und für die Wahrnehmung der eigenen Zuständigkeiten einstehen kann.
 
Gibt es zuverlässige Indikatoren, mit denen man die Effizienz föderaler Strukturen messen kann? Seitens der Ökonomie wird immer wieder die Effizienz des Föderalismus betont, wenn dieser in die Richtung eines Wettbewerbsföderalismus ausgebaut ist. Leider besteht in Österreich an einem solchen Wettbewerbsföderalismus wenig Interesse.
 
Hat sich Österreich in den letzten 25 Jahren eher in Richtung Zentralisierung oder Dezentralisierung bewegt? Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Verfassungsrechtlich gibt es ein Sowohl-als-auch. In finanzieller Hinsicht gilt dasselbe. Insgesamt würde ich sagen, die Länder haben sich besser gehalten, als ich erwartet hätte.
 
Welche politischen Anreizstrukturen, Wählererwartungen und parteipolitischen Interessen tragen dazu bei, dass grundlegende Reformen im Föderalismus so schwer durchsetzbar sind?Ich glaube, den Wähler*innen ist der Föderalismus eher von sekundärer Bedeutung. Sie wollen ihre Angelegenheit gut erledigt wissen, eine gute Gesundheitsversorgung und ein funktionierendes Bildungswesen haben. Auch den Parteien ist Föderalismus eigentlich weitgehend „wurscht“. Sie wollen ihre parteipolitischen Interessen durchgesetzt wissen. Und da hapert es.
 
Welche Auswirkungen hat die EU-Mitgliedschaft auf den Föderalismus in Österreich? Die EU-Mitgliedschaft hat den Föderalismus zunächst stärker unter Druck gesetzt, als ich es erwartet hätte. Mittlerweile hat das System aber gelernt, auf die Herausforderung zu reagieren. Leider funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Bund, der für die Europapolitik in erster Linie zuständig ist, nicht so gut. Hier gibt es in der gesamtstaatlichen Governance ordentlich Luft nach oben.
 
Interview: Marian Kröll

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