Sanftes Reisen erfährt immer mehr Zuspruch. Gäste achten vermehrt auf ihren ökologischen Fußabdruck – eine Tendenz, der Hoteliers Rechnung tragen müssen, denn Nachhaltigkeit ist weitaus mehr als nur ein Trend. Womit wir in Zukunft zu rechnen haben werden, erläutert Tourismusexperte Michael Oberhofer im Interview. Er ist teilhabender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe für Tourismus HMM mit unter anderem den Agenturen Brandnamic und MTS Austria GmbH.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Wie wichtig ist sie der Tourismusbranche wirklich?
Michael Oberhofer Nachhaltigkeit gilt derzeit als einer der Hauptzukunftstrends der Branche. Sie ist aber keine reine Gegenwartserscheinung, die wieder verschwinden wird. Wir können davon ausgehen, dass uns dieses Thema ab jetzt nicht nur ständig begleiten, sondern sogar ausschlaggebend für die künftige Entwicklung des Reisens sein wird – zu drängend sind die Fragen des Klimawandels und der Verantwortung, die wir für spätere Generationen zu tragen haben. Trendforscher prognostizieren, dass nachhaltiges Reisen in den kommenden Jahren eine immens große Rolle spielen wird, und in der Tat ist es bereits jetzt für 21 Prozent der Reisenden ein entscheidender Faktor für die Wahl einer Destination oder einer Unterkunft. Entsprechend erwarten Gäste von den Hotels, dass sie sich mit dem Thema bereits auseinandergesetzt und entsprechende Maßnahmen ergriffen haben. Voraussichtlich wird jede Planung irgendwann grün sein. Kein Betrieb kann es sich heute leisten, Nachhaltigkeit zu ignorieren.
Nachhaltigkeit ist teuer, so der allgemeine Glaube. Kann sie sich dennoch – auch finanziell – lohnen?
Nun ja, erst einmal ist Nachhaltigkeit natürlich mit Kosten verbunden, wenn man sozusagen die Hardware aufrüstet. Aber Nachhaltigkeit kann, strategisch klug umgesetzt, auch gleichbedeutend mit Wirtschaftlichkeit sein. Grundsätzlich sollten wir uns in erster Linie nicht fragen, was Nachhaltigkeit heute kostet, sondern wie viel wir künftig durch sie einsparen werden. Es geht also darum, nicht nur nachhaltig zu handeln, sondern nachhaltig zu denken und zu planen, sprich: generationenübergreifend, nicht nur für uns selbst. Wir haben bis jetzt oft viel zu kurzfristig agiert. Wir dürfen nicht vergessen: Nachhaltigkeit deckt bei weitem nicht nur den Bereich Ökologie ab. Mit der alleinigen Messung und Kompensation von CO2 oder der Implementierung erneuerbarer Energiequellen ist es nicht getan. Nachhaltigkeit umfasst auch die Bereiche Soziales und Ökonomie.
Können Sie diese Aspekte näher beleuchten?
Die sozialen Aspekte von Nachhaltigkeit sind enorm wichtig und wirken sich selbstverständlich auf die ökonomischen aus. Dabei geht es um die Menschen und die soziale Entwicklung eines Orts, um den Schutz der Landschaft, die Wahrung des ökologischen Gleichgewichts und der Ressourcen, eben weil sie für das Wohlbefinden der lokalen Bevölkerung so bestimmend sind. Wir müssen auf die Gäste schauen, aber ebenso auf jene, für die eine touristische Destination Zuhause ist. Es geht um den Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um die Schaffung von Bindung und Motivation; auch die Einbindung der ortsansässigen Menschen und Unternehmen in ökonomische Abläufe und die daraus resultierende Sicherung eines stabilen Arbeitsumfelds. Kurzum, einer lebenswerten Region für alle. In diesem Zuge schafft man Wirtschaftlichkeit, denn sie ist die Voraussetzung für umsetzbare Nachhaltigkeit. Ich gebe nur zu bedenken, was uns eine starke Mitarbeiterfluktuation ökonomisch abverlangt: 8 000 Euro kostet im Schnitt ein Personalwechsel. Da lohnen sich doch jede Investition in gute Arbeitsvoraussetzungen! Die langfristige Sicherung eines Unternehmensstandorts bedeutet eben auch die Vermeidung von finanzieller oder sozialer Instabilität, die für Nachhaltigkeit enorm kontraproduktiv sind. Menschen, die wirtschaftlich benachteiligt sind, sehen Nachhaltigkeit nicht als erste Priorität an.
Wie lassen sich diese Bereiche Ökologie, Soziales und Ökonomie konkret in einem Betrieb umsetzen?
Neben der erwähnten Fürsorge für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir bewusst lokale Unternehmen unterstützen, wenn wir etwa den Gästen hauptsächlich regionale und saisonale – vermehrt auch biologisch angebaute oder vegetarische bzw. vegane – Produkte und Speisen anbieten. Wenn wir Handwerker aus der näheren Umgebung anstellen, beim Bau lokale Materialien bevorzugen, Netzwerke bilden mit den Anbietern aus der Region. Wenn wir sanfte Mobilität fördern, indem wir die Anreise durch öffentliche Verkehrsmittel unterstützen, E-Ladestationen errichten usw. Mit all diesen Maßnahmen schaffen wir ideale Voraussetzungen für eine florierende Wirtschaft vor Ort. Die Bereitschaft der Gäste, für höhere Qualität mehr Geld auszugeben, liegt bei 80 Prozent. Hier nehmen meines Erachtens besonders kleine familiengeführte Häuser mit gelebten Hotelkonzepten eine Vorreiterrolle ein. Sie punkten meist mit weniger, dafür hervorragenden Leistungen, dem Einsatz moderner Technologien, einem umweltfreundlichen – übrigens auch ästhetischen – minimalistischen Design und oft bereits durch energetische Selbstversorgung. Für die Gäste sollten all diese Maßnahmen auch dort erkennbar gemacht werden, wo sie – wie etwa bei nachhaltigen Wellnesslösungen, alternativen Energiequellen und sozialen Bestrebungen – nicht unmittelbar ersichtlich sind. Schließlich sollen sie wie das Hotelteam selbst für gelebte Nachhaltigkeit sensibilisiert und auf dem Weg zu einer nachhaltigen Infrastruktur mitgenommen werden. Die Veränderung in den Köpfen ist ebenso wichtig wie tatsächliche Maßnahmen.
Haben Sie weitere konkrete Tipps für Nachhaltigkeit in den einzelnen Hotelbereichen?
Essenziell sind auch die kleinen Maßnahmen, denn sie machen in der Summe viel aus. Nachhaltige Ziele können sein, Energieverbrauch und Verpackungsmüll zu reduzieren; energetische Selbstversorgung anzustreben, gerade angesichts der stetig steigenden und unvorhersehbaren Energiekosten; effizient zu heizen, auf die richtige Raumtemperatur zu achten; wassersparende Duschköpfe zu nutzen. Oder in der Gastkommunikation auf einen klugen Mediamix zu setzen: zur Papiereinsparung vermehrt auf digitale Medien umzusteigen und Print dafür wirklich hochwertig und nachhaltig zu gestalten – auch hier sollte man unbedingt auf Qualität statt Masse setzen. Wie erwähnt, haben auch ein nachhaltiger Umgang mit Lebensmitteln und deren Einkauf oder Maßnahmen gegen Food Waste starke Auswirkungen auf den ökologischen Fußabdruck. In diesem Bereich kann die Umwelt wirklich entlastet und gleichzeitig die soziale Nachhaltigkeit gestärkt werden. Im Bereich der Reinigung kann man umweltverträgliche Produkte und Technologien mit geringem Energie- und Wasserverbrauch einsetzen. Gut ist es, Checklisten über mögliche Maßnahmen zu führen. Wichtig ist, sich und dem Unternehmen Zeit zu geben, Prozesse zu verändern.
Es wird trotz allem immer auch um Verzicht gehen. Wie kann das den Gästen schmackhaft gemacht werden?
Wir müssen realistisch sein: Menschen verzichten nicht gern. Aber es gibt Möglichkeiten, den Verzicht etwa auf bestimmte Angebote auszugleichen, sodass er nicht mehr ins Gewicht fällt. Wenn ich etwas Besseres erhalte als das, was ich gerade nicht haben kann, wird mir das, was ich nicht erhalte, nicht mehr so viel bedeuten. Wenn wir es als Gastgeber schaffen, unsere Gäste mit wenigen, dafür ausgezeichneten Produkten und Leistungen, vor allem aber mit Erlebnissen zu beeindrucken, die ihnen im Gedächtnis bleiben, dann werden wir eine Bindung zu ihnen herstellen, die durch nichts zu überbieten ist. Ich kann die Bedeutung von echter Gastfreundschaft gar nicht genug betonen. Aufmerksamkeit, Menschlichkeit, Interesse am anderen sind nichts Altmodisches, sondern ein Wert, der alle Zeiten überdauert und nachhaltig ist, weil er haften bleibt. Schöne Erinnerungen gehören für uns zum Wichtigsten überhaupt, sie sind wichtiger als Materielles. Auch das liegt in unserer Verantwortung als Touristiker, diese emotionale Bindung an einen Ort durch unser Verhalten zu fördern – denn wer eine Verbindung zu einem Ort und seinen Menschen aufbaut, will ihn automatisch auch bewahren. Genau das ist Nachhaltigkeit: das Gute für die Zukunft zu bewahren. Es lohnt sich, nicht immer reine Gewinnmaximierung zu betreiben, sondern auch ökologisch, ökonomisch und sozial zu handeln und langfristige Erfolge anzustreben, die allen dienen.