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Wirtschaft

Hand und Idee

5.12.2025

Handwerk und Design werden oft als Gegensätze verstanden: Hier das Tun, dort das Denken. Der Peter Bruckner Preis zeigt, dass beides nur gemeinsam Sinn ergibt, als Wechselspiel von Wiederholung und Wandel, Technik und Imagination, Körperwissen und kultureller Offenheit. In Osttirol, wo Handwerk seit jeher Identität stiftet, entsteht daraus ein Dialog über das, was Gestaltung heute bedeuten kann.

Generell ist Osttirol eine Region mit reicher Handwerkstradition und – nachweislich – einem ungebrochen regen Erfindergeist. Der wurde früher dadurch angeregt, dass Mangel geherrscht hat. Die Leute mussten sich selbst zu helfen wissen. Aber auch heute noch wollen sich die Osttiroler am liebsten selbst helfen. Hier hat man auch schon immer Design gemacht, auch wenn man es nicht so genannt hat. Manch produzierender Gestalter kann dem Begriff nach wie vor wenig abgewinnen, andere wie der gebürtige Osttiroler Martin Bergmann zählen zur internationalen Designerelite. Bergmann ist Mitgründer von EOOS, einem der international renommiertesten Designstudios des Landes. Im Interview spricht er darüber, was Design für ihn ausmacht, warum um gute Entwürfe gerungen werden muss und warum Handwerklichkeit und industrielle Fertigung am besten sind, wenn sie Hand in Hand gehen.

eco.nova: Kaum ein Begriff wird heutzutage so inflationär gebraucht wie „Design“. Was ist damit eigentlich gemeint? Martin Bergmann: Design hat eine große Breite. Wenn wir von Design sprechen, arbeiten wir immer an einem Objekt, an einem Produkt, einem Möbel, das nahe am Arbeiten oder Wohnen ist. Nachdem wir in unserem Studio dieses Objekt generiert, entworfen, skizziert und modelliert haben, kommt es als 3D-Datei und Modell zum Kunden. In der Regel ein Unternehmen, das eine Serielle Fertigung umsetzen kann. Das ist unser Designbegriff. Design hat für viele Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen.

Von Dieter Rams stammt angeblich die Aussage „Gutes Design bedeutet so wenig Design wie möglich“. Können Sie dem etwas abgewinnen oder sind Sie anderer Ansicht? Das ist ein großartiger Satz, den ich sogar noch verschärfen möchte. Wir sagen heute: „Weg mit dem Design.“

Was meinen Sie damit? Das ist entstanden, als wir für Bulthaup die Küche b2 entwickelt haben. Gerd Bulthaup hat ihn bei einem Prototypen-Event genau so formuliert. Dabei geht es uns darum, das Objekt auf das Allernotwendigste herunterzubrechen.

Das ist ein radikaler Ansatz. Das muss so sein, weil Design sonst beliebig wird. Es wird zum Selbstzweck, konsumig. So darf es unserer Meinung nach nicht sein. Wir versuchen, uns so zurückzunehmen, dass die Gestaltung mit dem Ausdruck, dem Material, der Fertigung und nicht zuletzt dem Bedienkonzept einhergeht. Jeder Millimeter, jedes Gramm zu viel darf nicht sein. Auch deshalb, weil dem Design ein industrieller Prozess angeschlossen ist, der wirtschaftlich sein muss.

Gerade die Reduktion auf das Wesentliche, den Kern der Sache, ist doch gewiss nicht einfach? Es ist ein Ringen. Mit sich selbst, mit den eigenen Schwächen. Nach vielen Entwicklungsstufen teilt einem das Objekt mit, dass es hinaus in die Welt möchte.

Das klingt beinahe esoterisch. Es ist aber genauso. Man spürt als Designer, wenn das Objekt hinaus muss. Hinaus in den Markt, um sich dort zu behaupten. Wir haben auch schon den Fehler gemacht, zu lange an einem Objekt zu arbeiten, immer weiter zu entwickeln. Dann fällt die Idee plötzlich ab. Man darf den richtigen Zeitpunkt nicht versäumen, das Objekt weiterzugeben an das Unternehmen, das es umsetzen soll.

In der Ingenieurskunst spricht man von „Overengineering“. Kann man analog dazu etwas auch „overdesignen“? Absolut. Man kann so vieles dazugeben, wenn das Produkt das nicht will, dann ist das kontraproduktiv. Ich sage noch einmal: Weg mit dem Design!

Darf man sich als Designer selbst nicht allzu wichtig nehmen? Es darf niemals darum gehen, die eigene Eitelkeit zu befriedigen. Man muss drüberstehen. Es braucht zwar einen Willen zum Design, aber immer um des Objekts willen.

Wie sieht Ihr Designprozess aus? Es ist ein sehr langsamer Prozess. Unser Atelier ist wie ein Skulpturengarten. Da stehen viele große Tische, auf denen die aktuellen Arbeiten als Skizzen, Vormodelle und Modelle in unterschiedlichen Maßstäben herumstehen. Man kommt jeden Tag ins Studio und ist mit der eigenen Arbeit konfrontiert. Die verschwindet nicht im Computer. Wir begegnen unserer Arbeit, gehen mit unseren Mitarbeiter*innen von Tisch zu Tisch – wie durch einen Garten –, halten inne, schauen uns das an, reden darüber. Manchmal bekommt man dabei ein neues Gefühl, das man in der Vorwoche noch nicht hatte. Es kann auch sein, dass ich mir einen Kaffee hole und nur aus dem Augenwinkel bemerke, dass ein Stuhlbein um einen Grad verändert gehört und dadurch besser wird. Man muss Design sehen können. Im Computer verschwindet es.

Design ist also sowohl Kopf- als auch Bauchsache? Es ist essenziell, dass man etwas spürt. Das geht nur, wenn man die Entwürfe physisch vor sich hat. Dabei geht es oft um minimale Änderungen. Es braucht aber Zeit, damit man diesen Dingen begegnen kann. Im Studio bin ich permanent von tausenden Modellen umgeben. Als Designer brauche ich diese Begegnungszeit mit unserer Arbeit. Als Designer muss man Allrounder sein, um alle Facetten zu begreifen: Man muss etwas vom Entwerfen, von der Fertigung und der Technologie verstehen.

Technologisch hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Arbeiten Sie auch mit der virtuellen Realität, sei es als Augmented Reality oder Mixed Reality? Nein. Wir denken unsere Produkte von innen heraus. Dabei kann einem weder die virtuelle Realität noch Künstliche Intelligenz helfen. Ein Objekt in sich zu verstehen und entwickeln und für einen Industrieprozess aufzubereiten, muss meiner Ansicht nach immer noch ein Mensch machen.

Kann Design auch Selbstzweck sein oder muss es immer im Dienst einer Sache stehen? Design als Selbstzweck hat null Impact. Wir streben als Studio immer Impact an, poetisch, kulturell und sozial. Wer dem Markt zu nahe kommt, verbrennt dabei. Man wird zu konsumig. Wer zu speziell und abgehoben ist, geht im Orbit verloren. Es ist unsere Aufgabe, dazwischen die richtige Flughöhe zu finden.

Was ist für Sie die wichtigste Eigenschaft und Kompetenz eines Designers? Die Ruhe bewahren und nicht irgendwelchen Trends hinterherlaufen. Das ist die größte Gefahr. Die große Kunst ist es, Partner und Unternehmen zu finden, die das auch so sehen.

Muss man als Designer teamfähig sein? Das ist ganz wichtig. Wir haben EOOS als Team begründet und sind im Möbeldesign groß geworden. Zusätzlich haben sich Produkt- und Social-Design als weitere Betätigungsfelder herauskristallisiert, die wir gemeinsam weiterentwickeln. Mein Schwerpunkt liegt im Möbeldesign. Designer müssen Teamplayer sein. Wir haben ein junges Team, die meisten unserer Mitarbeiter*innen haben an der Hochschule für angewandte Kunst Design studiert. Es ist sehr inspirierend, mit jungen Menschen zu arbeiten. Und schließlich haben wir auch in den Unternehmen, denen wir unsere Arbeiten zur Entwicklung und Fertigung weitergeben, mit Teams zu tun.

Unlängst hat mir ein Tischlermeister und Künstler in Bezug auf Möbeldesign sinngemäß gesagt: „Ein Stuhl ist ein Stuhl, ein Tisch ein Tisch.“ Was fasziniert Sie an der Arbeit mit Möbeln? Unser Professor an der Hochschule für angewandte Kunst, Paolo Piva, ein sehr berühmter Designer und Architekt, hat mein Interesse entfacht. Damals habe ich diese Leidenschaft für mich gefunden.

Mit welcher Ihrer zahlreichen Kreationen haben Sie die größte Freude? Immer mit der aktuellsten, an der wir gerade arbeiten. Immer. Das nimmt uns ein, verlangt uns alles ab, immer eine neue, noch bessere Idee zu entwickeln. Eine starke Idee erzeugt einen Pulleffekt und kann uns und ein ganzes Unternehmen vorwärts katapultieren. Eine gute Idee vermag eine enorme Kraft zu entfalten! Das ist der schönste Moment für einen Designer.

Sie haben den EOOS-Zugang als „Poetische Analyse“ definiert. Worum geht es Ihnen dabei? Die Poetische Analyse ist heute für uns ein Werkzeug, das uns dabei hilft, bei Beginn einer neuen Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, ein Feld zu erkennen, abzustecken und darin Orientierung zu finden. Sie gibt uns den Rahmen vor, in dem wir uns mit unserem Design bewegen.

Sie arbeiten bei EOOS seit vielen Jahren als Trio. Sind Sie eine Boyband oder eher eine Rockband? Wir sind eine Rockband, auch heute noch. Obwohl es um mehr geht als ein einziges Design, einen Stuhl oder ein anderes Objekt oder Produkt. Design ist mehr und kann einen größeren Impact erzeugen. Wir wollen einen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beitrag leisten.

„Nachhaltigkeit“ ist ein gesellschaftlicher Megatrend, es gibt außerdem zarte Bestrebungen, die weitgehend lineare Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft umzumodeln. Sehen Sie sich als Designer diesbezüglich auch in der Verantwortung? Ja, sehen wir uns. Wir haben vor über 15 Jahren begonnen, die Linearität zu brechen. Das wurde von den Unternehmen damals noch nicht gutgeheißen. Heute ist das völlig anders. So gut wie jeder Entwurf, der in den letzten Jahren entstanden ist, setzt auf diesem Paradigmenwechsel hin zu einer Kreislaufwirtschaft auf.

Hat sich dadurch für Designer ein großes, neues Betätigungsfeld aufgetan? Im Prinzip kann man jedes früher entwickelte Produkt unter diesem Gesichtspunkt neu denken. Arbeit gibt’s genug. Beim zirkularen Denken muss man nur darauf achten, dass das Produkt weiterhin gefällt und den Menschen hilft. Die Anforderungen an gutes Design bleiben bestehen, nur muss man es mit jenen der Kreislaufwirtschaft unter einen Hut bringen. Das ist nicht trivial.

Sie sind ein gebürtiger Lienzer. Was bedeutet Heimat für Sie heute? Ich komme viel in der Welt herum und erzähle allen, wie toll es dort ist. Heimat ist für mich dort, wo meine Familie ist. Die ist in Teilen immer noch in Osttirol und mittlerweile auch in Wien.

Wie ist Ihre Verbindung zum Handwerk? Ich sehe das Potenzial in der Verbindung zwischen Handwerk und Industrialisierung. Handcraft und Robot-Craft braucht es zu gleichen Teilen, um heute bestehen und Möbel produzieren zu können. Handwerk ist weiterhin ganz wichtig, es sollte aber nach meinem Dafürhalten in Kombination mit serieller Produktion gedacht werden. Man spürt Handwerklichkeit, aber man spürt eben auch industrielle Fertigung. Handwerk ist wunderbar. Es hat eine Seele und ganz viel Energie, die spürbar wird. Es ist beachtlich, was beide – Handwerk wie Industrie – für sich betrachtet können, aber zusammen sind sie stark. Die besten Hersteller leben von dieser Dualität.

Was würden Sie jungen Designer*innen und Handwerker*innen raten, die kreativ arbeiten und sich dabei richtig spüren wollen? Durch den Paradigmenwechsel hin zur Kreislaufwirtschaft entsteht so viel Potenzial und Arbeit, die junge Menschen vielleicht sogar besser, schneller und zeitgemäßer leisten können. Es gibt so viele Produkte, die heute anders gedacht werden können. Design ist ein großes Gebiet, aber besonders da können sich junge Menschen mit ihren Stärken besonders einbringen.


Interview: Marian Kröll
Fotos: Udo Titz, Gregor Sailer

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