Wenn wir einer Person oder einer Sache „Qualität“ oder im Plural „Qualitäten“ attestieren, meinen wir das gleichbedeutend mit guter Qualität. Ist von Qualität die Rede, wird die Wertung – in diesem Fall eine positive – mitgeliefert. Die Adjektive „hohe“ und „gute“ muss man gar nicht dazusagen, weil ohnehin jeder weiß, was gemeint ist. Dabei ist die Sache mit dem Qualitätsbegriff an sich gar nicht so einfach. Qualität ist ein Metabegriff, der in unserem Sprachgebrauch auf einem hohen Abstraktionsniveau angesiedelt ist und fast beliebig gebraucht – und nicht selten wohl auch missbraucht – wird.
Das Wort Qualität stammt aus dem lateinischen qualitas, was nichts anderes bedeutet als Beschaffenheit. Wer von Qualität spricht, darf aber den Schwesterbegriff, die Quantität, nicht außer Acht lassen. Denn es ist schließlich dieses Begriffspaar, innerhalb dessen der Qualitätsbegriff erst seine Funktion erhält. Quantität bezeichnet die Menge bzw. Größenordnung einer Sache oder Leistung, Qualität die Güte. Miteinander beschreiben sie den gegenwärtigen Zustand. Quantität und Qualität seien dementsprechend, argumentiert der deutsche Sozialwissenschaftler Peer Pasternack, „insoweit aufeinander bezogen, als Güte immer nur als Güte einer Menge existieren kann und jede Menge eine bestimmte Güte besitzt. Damit wird bereits deutlich: Qualität ist – entgegen der landläufigen Wahrnehmung – als analytische Kategorie ebenso wie Quantität ein wertneutraler Begriff, denn irgendeine Güte ist jeder Sache bzw. Leistung eigen.“
Qualität sagt entgegen dem landläufigen Sprachgebrauch erst einmal nichts Positives oder Negatives über eine Sache aus. „Irgendwie scheinen wir zu wissen, was Qualität ist, egal, ob es sich um ein Produkt, eine Dienstleistung, eine Beziehung, ein Kunstwerk handelt. Auf der anderen Seite erleichtert ein derart verbreitetes Selbstverständnis den Diskurs. Wenn man weiß, worum es anscheinend geht, kann man es auch managen. Ausdifferenzierende Reflexionen können vermieden werden“, schrieb der österreichische Philosoph Peter Heintel einmal. Wenn wir „Qualität“ meinen, beziehen wir uns dann auf den intrinsischen Wert eines Objekts, auf dessen ästhetische Form oder praktische Funktionalität? Das ist uns meistens gar nicht bewusst. Unser Urteil stützt sich zumindest auf eines der drei Attribute Wert, Ästhetik und Funktionalität, auf zwei davon oder auf alle drei, wir differenzieren aber sprachlich normalerweise nicht. Qualität wird, so lautet eine der vielen möglichen Definitionen, dort augenscheinlich, wo Form und Funktion aufeinandertreffen. Das kann in Gestalt eines Produkts ebenso sein wie im Rahmen einer Dienstleistung.
Qualitätsphilosophie
Die Philosophie untersucht den Begriff der Qualität aus verschiedenen Perspektiven, die von metaphysischen und erkenntnistheoretischen Fragen bis hin zu ethischen und ästhetischen Überlegungen reichen. Universitätsprofessorin Anne Siegetsleitner, die Leiterin des Instituts für Philosophie an der Universität Innsbruck, hat mit uns das Wesen der Qualität aus philosophischer Perspektive zu ergründen versucht.
Die Alltagssprache bleibt im Hinblick auf die Qualität vage, die Philosophie naturgemäß nicht, und besonders exakte Vorstellungen und Konzepte von Qualität scheint es im Qualitätsmanagement zu geben, das sich gerne selbst als umfassende Philosophie inszeniert. Doch das ist eine andere Geschichte (Seite 22). „Qualität ist tatsächlich ein sehr abstrakter Begriff“, hebt Siegetsleitner an, „bei Aristoteles kommt er als einer von den zehn Grundkategorien in der Beschreibung des Seienden und des Seins, der Ontologie, vor. Die Philosophie benutzt den Begriff meistens, um die Eigenschaften bzw. Merkmale einer Substanz zu bezeichnen.“ Das sei die ursprünglichere Verwendungsweise des Qualitätsbegriffs, die bis heute gebräuchlich ist. „Geht es aber um die Wirtschaft, um Produkte oder Werbung, ist etwas anderes damit gemeint, das zwar nicht unabhängig von den Eigenschaften ist, aber darüber hinausgeht“, sagt Siegetsleitner. Damit ist die dem Begriff im Alltagsgebrauch inhärente Wertung gemeint.
Die Philosophin vergleicht das mit dem Begriff der Moral, mit dem ähnlich verfahren wird. Wenn jemandem Moral zugestanden wird, dann ist das – obwohl der Begriff an sich genau wie die Qualität neutral ist – positiv gemeint. Der wertende Qualitätsbegriff sei, gibt die Philosophin zu bedenken, immer ein relationaler, auf einen Vergleichsgegenstand bzw. -maßstab bezogener. Auch das ist im Reden von Qualität in der Alltagssprache nicht erkennbar. Qualität braucht einen Maßstab, einen Referenzpunkt, von dem aus betrachtet sie größer oder geringer sein kann. Wenn beispielsweise „höchste Qualität“ versprochen wird, dann müsste man sich eigentlich immer fragen, worauf sich das bezieht. Höhere Qualität als was? Gute bzw. hohe Qualität ist insofern schwer objektivierbar, weil sie von den individuellen Anforderungen und Vorstellungen, vor allem bezogen auf Ästhetik, Form und Funktion, abhängt. Was dem einen qualitativ hochstehend erscheint, kann für den anderen bloß Durchschnitt sein. Es gibt allerdings gewisse (Qualitäts-)Standards, ohne deren Erfüllung ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht auskommen wird. Kauft man ein Messer, ist das mit der nachvollziehbaren Erwartung verbunden, dass es gut schneidet. Wird dieses ausschlaggebende Hauptkriterium nicht erfüllt, kann das Messer noch so schnittig aussehen und noch so gut in der Hand liegen, eine Anmutung von Qualität wird bei den Verwender*innen nicht aufkommen. „Qualität ist keine Frage des alles oder nichts, sondern des mehr oder weniger“, spricht Siegetsleitner die Tatsache an, dass Qualität nicht nur abstrakt, sondern auch nuanciert ist. Qualität ist ein Spektrum, wenn man so will.
Lebensqualität
Das gängige ökonomische Paradigma ist ohne Wachstum auf Dauer weder vorstellbar noch haltbar, auch wenn die Umwelt mit ihren begrenzten Ressourcen damit eigentlich nicht mitkann. Entwürfe einer Postwachstumsökonomie und -gesellschaft werden im Mainstream noch belächelt oder gar als verrückt abgetan, das Bruttoinlandsprodukt – und damit Quantität – ist nach wie vor das Maß der Dinge, Alternativen wie ein Bruttonationalglück – ein qualitätsorientierter Indikator für das gesamthafte Wohlergehen – gelten mithin als exotische Fantastereien. Mehr ist mehr. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Bereitstellung ausreichender Quantitäten nicht für sich genommen in der Marktwirtschaft auch eine Qualität sein könnte. „Für sich genommen ist mehr sicher nicht besser, eingebettet in einen Kontext, mit Zusatzbedingungen, kann das aber – zumindest vorübergehend – tatsächlich gelten. Es kann beispielsweise besser für einen Betrieb sein, wenn er mehr produzieren kann als die Konkurrenz“, sagt Anne Siegetsleitner, die zugleich Zweifel daran anmeldet, dass das immer mehr und schneller, höher, weiter unserer atemlosen Konsumgesellschaft gesamthaft etwas Positives sei.
Masse und Klasse
Die Massenproduktion, also Quantität, nimmt heute sehr wohl für sich in Anspruch, (hohe) Qualität zu erzeugen. Demgegenüber steht der Luxus, der sich gerade dadurch abgrenzt, nur eingeschränkt verfügbar zu sein. „Massenproduktion spricht absolut nicht gegen Qualität“, hält Siegetsleitner fest. Autos seien beispielsweise nicht schlechter geworden, nur weil sie nicht mehr einzeln von Hand produziert würden. Das Gegenteil ist der Fall. Negative Auswirkungen auf die Qualität sind allenfalls zu beobachten, wenn das erzeugte Gut so billig wie nur möglich sein soll und mehr eingespart wird, als sich mit der Aufrechterhaltung einer gewissen Qualität verträgt. Im Umkehrschluss ist längst nicht gesagt, dass exklusive Produkte qualitativ hochwertiger sein müssen. Distinktionsgewinn durch die Zurschaustellung besonders seltener und teurer Güter ist nicht primär auf hohe Qualität angewiesen, sondern auf Rarität und Connaisseurs. „Wer sich nicht mit exklusiven Weinen auskennt, wird sie auch vom Geschmack her – von ihrer Qualität her – nicht zu schätzen wissen. Das funktioniert nur unter Eingeweihten“, so Siegetsleitner. Im elitären Zirkel der Eingeweihten funktioniert die Distinktion aber zuverlässig. Im Übrigen kann noch nicht einmal die Langlebigkeit heute uneingeschränkt als Qualitätsmerkmal gelten, wo es doch so ist, dass Güter häufig weit schneller aus der Mode geraten, als sie haltbar wären. „Das Produkt mag dann zwar qualitätsvoll sein, das ist aber für die Kaufentscheidung kein relevantes Kriterium mehr“, so Siegetsleitner.
Das Tier, das misst
Wer von Qualität redet, darf von der Quantität nicht schweigen: Es wäre nicht vermessen, zu behaupten, dass wir ohne unser hochentwickeltes Messwesen als Zivilisation nicht annähernd so weit gekommen wären. Wir quantifizieren, wo es nur geht, ganz egal, ob das nun sinnvoll ist oder eher weniger. Wir messen, weil wir’s können. Dafür haben wir im Laufe der Zeit eine Unzahl an Apparaturen entwickelt. Das Ende der Fahnenstange ist längst nicht erreicht, die Quantifizierung unserer Lebenswelt schreitet unaufhaltsam voran, die Zahlen haben uns im Griff, wir werden von ihnen beherrscht und lassen uns von ihnen beherrschen. Vom Budget übers BIP bis zum BMI sagen sie uns, wie viel Geld wir ausgeben, kollektiv erwirtschaften und wie viel Nahrung wir zuführen sollten, um nicht zu fett zu werden. Wer etwas misst, will es letztlich (um)gestalten.
Von der Quantifizierung zur Berechnung zur Planung zur gezielten Umgestaltung ist der Weg kürzer, als man annehmen möchte. Der Qualität ist immer eine gewisse Wertzuordnung inhärent, allerdings sind auch Quantitäten nicht wertfrei und sollten nach „versteckten“ Wertentscheidungen befragt werden. „Die Quantität ist nicht so harmlos, wie sie oft daherkommt, ihre Strukturierung entspringt vorgängigen Wertentscheidungen“, warnte Peter Heintel. „Die Qualität ist zunächst die mit dem Sein identische Bestimmtheit, dergestalt, dass etwas aufhört, das zu sein, was es ist, wenn es seine Qualität verliert. Die Quantität ist dagegen die dem Sein äußerliche, für dasselbe gleichgültige Bestimmtheit. So bleibt z. B. ein Haus das, was es ist, es mag größer oder kleiner sein, und Rot bleibt Rot, es mag dasselbe heller oder dunkler sein“, schrieb Georg Wilhelm Friedrich Hegel im ersten Buch seiner Wissenschaft der Logik, das den Titel „Die Lehre vom Sein“ trägt. Alles Seiende ist Einzelheit, wobei es unmöglich ist, dass Einzelnes einfach nur ist, sondern es ist immer auch etwas ganz Bestimmtes. Und diese zwangsläufige Bestimmtheit des Einzelnen ist seine Qualität. Hegel entwickelt seine Qualitätslogik also vom einzelnen Seienden ausgehend. Mehrere Einzelne bilden folglich eine Einheit, innerhalb derer sie sich nicht mehr qualitativ voneinander unterscheiden. Sie bilden miteinander eine Vielheit, die wiederum eine bestimmte Größe bzw. Quantität hat, da sie aus mehreren Einzelheiten besteht.
Folgte man Hegel, so geht die Qualität als Merkmal der Quantität gewissermaßen voraus. „Die Zahl dient immer schon der Entqualifizierung des Besonderen, Individuellen“, meint Peter Heintel, der seinerseits auf die Dialektik des Qualitätsbegriffs verweist: „Qualität meint nämlich einmal das Besondere, Unverwechselbare, Einmalige, Originelle, Individuelle, Innovative etc., zum anderen ein Allgemeines, womöglich eines, das für alle Menschen Geltung hat, von allen anerkannt werden kann (z. B. die Qualität der Menschenrechte); dazwischen gibt es vielerlei Abstufungen. In dieser Qualitätsdialektik findet sich ein notwendiger und berechtigter Widerspruch, der im Gegenstand selbst zu Konflikten führen muss. Wird jeweils das Besondere betont und herausgestrichen, bedeutet das etwas anderes, als wenn man nach allgemeinerer Geltung sucht.“ Wer Qualität sagt, sollte also auch die Quantität immer mitbedenken. Und sich bewusst machen, wovon konkret die Rede ist, wenn man sich auf die Qualität beruft.
Text: Marian Kröll