Die Gemeinden müssen ohne finanzielle Abgeltung immer mehr Aufgaben übernehmen. Wir haben mit Gemeindeverbandspräsident Karl-Josef Schubert über die prekäre finanzielle Situation der Tiroler Gemeinden und die Krise als Chance für Reformen gesprochen.
eco.nova: Wie geht es den Tiroler Gemeinden finanziell? Karl-Josef Schubert: Schlecht. Die Rezession schlägt überall durch, die Gemeinden bekommen das durch rückläufige Ertragsanteile und sinkende Kommunalsteuereinnahmen extrem zu spüren. Wir werden bei den Ertragsanteilen 2025 nur deshalb ein leichtes Plus haben, weil das Paket, das man im Frühsommer geschnürt hat, wirksam wird und es nächstes Jahr eine 300-Millionen-Spritze gibt.
Stammt das Geld aus dieser sogenannten „Gemeindemilliarde“? Ja. Genau genommen sind es insgesamt 900 Millionen Euro, ein wesentlicher Teil davon sind Investitionsförderungen. Wenn man aber überhaupt kein Geld hat, kann man nicht investieren. Selbst wenn 80 Prozent des Investitionsvolumens gefördert werden, brauchen Gemeinden das Kapital und die Liquidität, die restlichen 20 Prozent selbst bezahlen zu können. Gemeinden würden die Gelder des Bundes gerne abholen, sind dazu aber oft nicht in der Lage, weil sie die Grundliquidität nicht mehr haben.
Man konnte als Beobachter den Eindruck bekommen, dass nach Abschluss des letzten Finanzausgleichs 2024 bis 2028 alle Gebietskörperschaften – Bund, Länder und Gemeinden – relativ zufrieden gewesen sind. Hat sich das bis heute fundamental geändert? Es sind zwei Dinge passiert. Die Rezession hat zu einem Einbruch bei den Ertragsanteilen geführt. Der zweite Grund ist, dass nicht bedacht wurde, was die Abschaffung der kalten Progression für die Gebietskörperschaften bedeutet. Dieser Effekt wurde offensichtlich unterschätzt. In einer Hochkonjunktur wäre das vermutlich verschmerzbar gewesen, in der derzeitigen konjunkturellen Lage trifft es die kleinsten Gebietskörperschaften, die Gemeinden, überproportional. Dazu kommt noch eines: Der Bund versteht es bestens, immer mehr Aufgaben bei den Gemeinden abzuladen. Und selbst wenn das wichtige Aufgaben sind, die erfüllt werden müssen, bin ich doch der Meinung, dass man das nicht tun darf, ohne die notwendige finanzielle Ausstattung mitzubedenken. Ein Beispiel: Vor 30 Jahren wäre es keiner Gemeinde eingefallen, für die Österreichische Post Telefonkabel zu vergraben. Will ein Bürgermeister, dass die Bevölkerung und die Wirtschaftstreibenden in der Gemeinde eine ordentliche Kommunikationsinfrastruktur haben, muss er heute schauen, dass er den Ausbau eines Glasfasernetzes zustande bekommt. Und ja, es stimmt, das wird vom Bund und auch vom Land Tirol sehr gut gefördert, aber auch hier sind vonseiten der Gemeinden zunächst hundert Prozent des Geldes selbst in die Hand zu nehmen, das erst zeitverzögert zurückfließt.
Wie sieht es im Bereich der Kinderbetreuung aus? Da sieht es nicht anders aus. In der Elementarpädagogik und Kinderbetreuung müssen die Gemeinden 50 bis 60 Prozent der Kosten des laufenden Betriebs selbst stemmen. Dazu kommt, dass die Gemeinden wieder Aufgaben übernehmen, die vom Bund gekommen sind. Zum Beispiel das Thema Schulassistent*innen. Die sind durchaus notwendig, weil es schließlich ein klares Bekenntnis zur Inklusion gibt. Das ist aber wiederum eine Bundesaufgabe, die bei den Gemeinden abgeladen wurde. Wir müssen das entsprechende Personal engagieren und die Löhne bezahlen. Es gibt zwar auch dort wieder Förderungen, dennoch bleiben die Gemeinden schlussendlich auf einem guten Prozentsatz der Kosten sitzen.
Die Aufgaben der Gemeinden nehmen zu, die finanzielle Mittelausstattung hält damit offenbar nicht Schritt. Reicht es aus, immer „nur“ mehr Geld aus dem Finanzausgleich und sonstigen Sonderpaketen zur Verfügung zu stellen, oder braucht es eine Neuorganisation und -verteilung der Aufgaben und Entwirrung der Kompetenzen? Richtig. Genau das braucht es. Wir haben in Österreich grundsätzlich kein Einnahmenproblem. Wir sind ein Hochsteuerland. Mein Ansatz ist es, darüber nachzudenken, ob alle Strukturen, die wir im Land haben, auch notwendig und effizient sind. Damit muss man auf der Gemeindeebene beginnen. Gibt es Prozesse, die man verbessern kann? Sind alle Steuervorteile, die es dann und wann auch für Gemeinden gibt, ausgeschöpft? Wir müssen uns auch ansehen, ob die Ausgaben hinsichtlich ihrer Effizienz gerechtfertigt sind. Ich fordere außerdem massiv vom Landeshauptmann als zuständigem Finanzreferenten, die Transferzahlungen zwischen den Gebietskörperschaften zu durchleuchten.
Wie unübersichtlich ist dieses Hin- und Herüberweisen öffentlicher Gelder mittlerweile? Die Wahrheit ist, dass ich als Bürgermeister selbst nicht mehr alles im Detail durchblicke. Es gibt unzählige Beiträge, die zwischen den Gebietskörperschaften hin- und hergeschickt werden.
Das klingt ganz nach einem ineffizienten Spiel à la „linke Tasche, rechte Tasche“ auf Steuerzahlerkosten? Genau. Wir wissen gleichwohl auch, dass sich da in den letzten Jahren einiges zu Ungunsten der Gemeinden verschoben hat. Ich fordere daher vom Land Tirol und dem Landeshauptmann, sich genau anzusehen, wo man in der Verwaltungsökonomie Verbesserungen erzielen kann.
Sie scheinen mit Ihren Bürgermeisterkolleg*innen einige Optimierungsmöglichkeiten identifiziert zu haben. Warum bewegt sich da so wenig? Gibt es einen grundlegenden Reformunwillen oder ist der Leidensdruck noch nicht groß genug? Vielleicht beides. Ich möchte da auch durchaus selbstkritisch sein. Wenn man etwas sehr lange macht, wird man manchmal etwas betriebsblind. Änderungen bedeuten außerdem immer einen Eingriff. Solche Strukturreformen werden wir aber angehen müssen, weil der Leidensdruck seit zwei Jahren immer größer wird. Ich sehe keine Alternative dazu, alle möglichen Reformen zu machen. Sonst werden wir uns die Frage stellen müssen, was können wir denn noch leisten? Die Gemeinden sind dafür da, für die Daseinsvorsorge Sorge zu tragen. Wir werden allerdings manche Dinge nicht mehr bewerkstelligen können. Da sind der Bund und die Länder gefordert, zum einen zu entflechten, zum anderen die Gemeinden darin zu unterstützen, die Leistungen, die man ihnen übertragen hat, auch tatsächlich erfüllen zu können. Nach jeder Rezession kommt ein Wirtschaftsaufschwung, das sollte es auch in den Gemeinden wieder leichter machen. Es gibt derzeit viele Gemeinden mit massiven Liquiditätsproblemen. In meiner langen kommunalpolitischen Karriere kann ich mich nicht an eine ähnlich ernste Situation erinnern. Jede Krise, und in einer solchen befinden wir uns ohne Frage, bietet indes auch die Chance, Dinge zu hinterfragen. Gerade bei Struktur- und Verwaltungsreformen sehe ich in Österreich großen Handlungsbedarf. Manchmal habe ich tatsächlich das Gefühl, wir verwalten uns zu Tode. Viele Dinge, auch solche, die im Einflussbereich der Bürgermeister*innen liegen, sind tatsächlich überverwaltet.
Tirol ist das erste Bundesland, das ein Recht auf Kinderbetreuung für alle versprochen hat. Das wäre angesichts der sehr hohen Teilzeitquote, die letztlich Wohlstand kostet, auch volkswirtschaftlich sehr wichtig. Wenn man möchte, dass mehr Menschen Vollzeit arbeiten gehen, braucht es ein gutes Angebot, das leistbar ist, damit nicht das zusätzliche Einkommen aus der Mehrarbeit in die Kinderbetreuung fließt. Da gibt es noch sehr viel zu tun. Den Gemeinden wird oft vorgeworfen, dass sie die Bedeutung einer guten Kinderbetreuung noch immer nicht erkannt hätten. Der überwiegende Teil der Bürgermeister*innen ist dafür ganz offen und wir haben das Problem längst erkannt. Wir können aber keine Faust mehr machen, weil wir finanziell betrachtet keine Finger mehr haben.
Der neue Gemeindebundpräsident Johannes Pressl hat die Situation der Kommunen als „Tal der Tränen“ beschrieben. Insofern ist der Bevölkerung und den Bürgermeister*innen im Land zu wünschen, dass dieses Tal kein allzu tiefes sein wird. Das hoffen wir alle. Es ist trotzdem wichtig, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Das ist in den Gemeinden leichter möglich, weil man die Situation den Menschen vor Ort gut erklären kann. Die hohe Politik tut sich damit sehr viel schwerer, dem Volk zu verdeutlichen, wie tief die gegenwärtige Rezession tatsächlich ist. Es wird Entscheidungen des Bundes brauchen, und der Europäischen Union, um gegensteuern zu können. Ich bin optimistisch und sehe in der jetzigen Situation auch eine Gelegenheit, die Dinge zu durchforsten und darüber nachzudenken, ob wir das alles tatsächlich brauchen. Das ist nur ein Mosaikstein, der aber dazu beitragen kann, dass wir bei besserer Wirtschaftslage in den Gemeinden wieder voll durchstarten können.
Interview: Marian Kröll