Dorothee von Laer ist seit 2010 Professorin am Lehrstuhl für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck und forscht an ihrem Institut zum Einsatz onkolytischer (tumorzerstörender) Viren in der Krebstherapie sowie zur Gentherapie bei HIV-Infektionen. In der österreichischen Öffentlichkeit bekannt wurde sie indes durch ihre fachliche Expertise im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Im Interview spricht sie über Wissenschaft, Tirol und die Zusammenarbeit mit der Politik.
eco.nova: Während der Pandemie war die Wissenschaft wohl so präsent wie zu kaum einer anderen Zeit. Es hat allerdings auch gezeigt, wie skeptisch viele Menschen der Wissenschaft gegenüberstehen. Woher kommt das?
Dorothee von Laer: Es gibt Studien, die zeigen, dass Österreich zur wissenschaftsfeindlichsten und naturwissenschaftlich am wenigsten informierten Bevölkerung in Europa gehört. Nun kann man breit darüber spekulieren, warum das so ist. Als Erstes lässt sich wohl der Schulunterricht anführen. In anderen Ländern werden Kinder und Jugendliche mit weit mehr Spaß und Kreativität an die Naturwissenschaften herangeführt. Hinzu kommt, dass sich Österreich generell eher als schöngeistiges Kulturland sieht. Vor allem im Osten identifiziert man sich stark mit Kunst und Kultur, im Westen mit dem Tourismus. Das ist völlig berechtigt und das sind Dinge, die man durchaus hervorheben kann, doch das allein bringt uns nicht weiter. Wir müssen auch anderen Bereichen einen Stellenwert einräumen.
Sie wurden für Ihre Aussagen zu COVID-19 selbst übelst per Mail und teilweise auf offener Straße angefeindet. Wie erklären Sie sich das?
Anfeindungen Wissenschaftler*innen gegenüber sind kein rein österreichspezifisches Phänomen, solche Fälle gab und gibt es auch in Deutschland und anderswo. Tatsächlich aber ist es so, dass jene Menschen, die schlechte Nachrichten überbringen, oft dem Hass und dem Unmut der Menschen ausgesetzt sind. Christian Drosten zum Beispiel hatte teilweise sogar Personenschutz und ich konnte nur noch mit Perücke aus dem Haus gehen. Auffällig ist, dass es etwa in Skandinavien kaum so genannte Coronaleugner oder Anti-Corona-Demonstrationen gab. Dort ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen, die Forschung und Wissenschaft generell viel größer. Dinge oder Situationen, die man nicht kennt, die einem fremd sind, stufen manche Menschen oft als bedrohlich oder zumindest suspekt ein. In der Coronapandemie war die relativ hohe Uninformiertheit der Bevölkerung über naturwissenschaftliche Zusammenhänge sicher ein Problem. Und hier sind wir wieder bei der Bildung. Diese Unwissenheit führt zu Unverständnis und einer Abwehrhaltung. Deshalb halte ich Wissensvermittlung im naturwissenschaftlichen Bereich von der Schule bis ins Erwachsenenalter für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in die sich auch die Universitäten und wir als Wissenschaftler*innen mit einbringen müssen.
Braucht es eine vermehrte – oder verbesserte – Kommunikation seitens der Wissenschaft nach außen?
Der Naturwissenschaftler an sich fühlt sich in seiner Isoliertheit, die ihm oft vorgeworfen wird, tatsächlich am wohlsten und er braucht seinen Elfenbeinturm, um seine Kreativität ausleben und seine Forschung ungestört vorantreiben zu können. Um ganz ehrlich zu sein: Die Wissenschaft hat am liebsten ihre Ruhe. Wir unterhalten uns am liebsten mit Leuten, die in etwa denselben Wissensstand haben wie wir selbst und wo wir in der Diskussion geistiges Futter kriegen. Wir wollen den Menschen nicht die Grundlagen der Naturwissenschaften erklären. Dennoch müssen wir es, weil wir einen Auftrag dazu haben. Wir werden von den Steuerzahler*innen finanziert und haben mehr oder weniger die Verpflichtung dazu, nicht nur zu forschen, sondern auch Wissen zu transferieren. Das war mit ein Grund, warum ich mir die vergangenen Jahre in der Öffentlichkeit angetan habe. Die wenigsten von uns Wissenschaftler*innen machen das gerne und mögen das. Meiner Meinung nach bräuchte es eigene Wissenschaftskommunikator*innen, die Informationen derart herunterbrechen können, dass sie für die Allgemeinheit verständlich werden.
Die ganze Welt scheint von dieser Pandemie überrascht worden zu sein. Aber so überraschend war diese gar nicht. Viele Experten haben seit langem vor einem solchen Szenario gewarnt. Hapert es auch hier an der Kommunikation?
Hier verorte ich die Problematik eher im politischen System. Ein Politiker, der schwarzmalt, wird nicht wiedergewählt. So einfach ist das. Politiker*innen leben davon, dass sie gute Nachrichten überbringen. Demokratien haben ihre Vorzüge, doch sie haben eben auch Nachteile. Man fokussiert sich lieber auf kurzfristige Erfolge als auf langfristige Vorsorge. Unpopuläre oder gar schmerzhafte, wenngleich notwendige Eingriffe werden nicht vorgenommen. Ein kommunikatives Problem gibt es indes durchaus, das ist aber weniger wissenschaftlicher Natur. In unserer schnelllebigen Zeit, die dominiert ist von Schlagzeilen und Überschriften, macht sich auch die Politik nicht mehr die Mühe, Maßnahmen entsprechend zu erklären. Politiker können realistische Einschätzungen von Gefahren nicht mehr derart transportieren, dass die Bevölkerung bereit ist, sich darauf einzustellen oder Maßnahmen mitzutragen. Manchmal auch deshalb, weil sie selbst Zusammenhänge gar nicht wissen oder erklärt bekommen wollen. Sich also präventiv auf die Gefahr einer Pandemie einzustellen, liegt nicht im Denkuniversum der Politik, obwohl es Pandemien in der Geschichte immer wieder gegeben hat. Unterm Strich geht es aber auch hier um ein informiertes Volk. Wer über Sachkenntnis verfügt, wird auch bei unangenehmen Prognosen die damit verbundenen Handlungsnotwendigkeiten verstehen. Dasselbe gilt für die viel größere Problematik der Klimakatastrophe.
Unter anderem hat sich Ihr Vater Klaus Hasselmann intensiv mit der Klimathematik auseinandergesetzt. Er ist Klimaforscher und 2021 wurde ihm gemeinsam mit Syukuro Manabe und Giorgio Parisi der Nobelpreis für Physik zuerkannt. Nun ist auch das Klima und die Erderwärmung ein Thema, das die Menschen emotional mitnimmt. Wie sehr hat Ihr Vater Sie – beruflich – geprägt?
Mein Vater hat mich in zwei Dingen sehr geprägt: Wir sind derart erzogen worden, dass wir Dinge klar und strukturiert auf den Punkt formulieren. Mein Vater hat immer wieder nachgehakt und uns somit das Herumschwurbeln aberzogen. Mein Vater ist Physiker, mein Bruder Mathematiker, wir haben es generell nicht so mit Thomas-Mann-Sätzen. Das Zweite ist, dass mir mein Vater beigebracht hat, zu seinen Überzeugungen zu stehen und nicht irgendetwas zu sagen, nur um jemandem zu gefallen. Man soll mit der Wahrheit nicht hinterm Berg halten, sondern Dinge offen und ehrlich ansprechen, auch wenn diese vielleicht nicht mehrheitsfähig sind oder man sich damit unbeliebt macht. Schon mein Großvater hat sich als Journalist gegen das Naziregime gestellt.
Sie haben vor einiger Zeit in einem Interview mit der ZEIT gesagt, man habe in Tirol als deutsche Frau nicht viel zu melden. Ist das Problem eher, dass Sie eine Frau sind oder Deutsche?
Meiner Erfahrung nach gibt es in Tirol politisch eine sehr klare Hackordnung. An erster Stelle steht der Tiroler Mann, dann die Tiroler Frau. Dahinter kommt der deutsche Mann und noch viel weiter dahinter die deutsche Frau. Es geht nicht nur um Sexismus, sondern ganz klar auch um die Herkunft. Dazu spielen noch Familienbande zu politisch zentralen Personen eine Rolle. Es gibt diese politische Kaste, die sich auch in diversen Clubs und Vereinigungen wiederfindet und die das Sagen hat. Tirol ist politisch nach wie vor sehr patriarchalisch und lokal nationalistisch geprägt. Im „normalen“ Alltag mag das alles ganz gut funktionieren, in dem Moment, wo es zu einer Krisensituation kommt, geht das jedoch nicht mehr. Vermutlich wären die Fehler gerade zu Beginn der Pandemie genauso passiert, aber die (politische) Aufarbeitung und die Konsequenzen daraus wären andere gewesen, wenn die Systeme nicht so dermaßen eingefahren wären. Im Nachhinein muss man sich ein klares Scheitern im Handeln eingestehen, aber diese verkrusteten Strukturen lassen das nicht zu. Es gibt keine Diskussionskultur und keine Innovation, die von außen zugelassen wird. Als ich nach Tirol gekommen bin, waren die ersten beide Sätze, die ich nach einem Vorschlag zur Veränderung zu hören bekam: „Das haben wir schon immer so gemacht“ und „Das haben wir noch nie so gemacht“. So kann kein Fortschritt entstehen.
Interview: Marina Bernardi