
Fabian Rauch ist jemand, der nicht stehen bleibt. Seit er 18 Jahre alt ist, gründet er Unternehmen, erkennt Probleme und löst sie. Er hat viele Ideen, manche davon sind gut, manche nicht so. Jedenfalls wirkt er nicht wie jemand, der lange überlegen muss, bevor er etwas Neues beginnt. Er „baut Firmen“, wie er sagt, weil es ihm Spaß macht. Rauch ist Founder und Partner der Agentur Growth DNA und des Start-ups Crqlar, mäandert im alten Bürogebäude der Rauch Mühle in Innsbruck zwischen Unternehmensgründungen, Datenbergen und einer ewigen Liste an Ideen. Warum er lieber Firmen gründet als Gitarre spielt und warum wir alle mehr Prosecco trinken sollten.
eco.nova: Sie sind viel herumgekommen und nun in der Rauch Mühle in Innsbruck sesshaft geworden. Wie kam’s? Fabian Rauch: Ich wurde heuer 40 und war mein ganzes Leben lang selbständig. Meine erste Firma habe ich mit 18 gegründet und es hat mich immer angetrieben, Dinge voranzubringen. Ich denke, jeder Mensch verfügt über eine gewisse Grundkreativität – andere malen, musizieren oder töpfern, ich baue Firmen. Es macht mir wahnsinnigen Spaß, ein Problem zu erkennen und zu überlegen, wie es sich lösen lässt, und herauszufinden, ob Menschen bereit sind, für diese Lösung auch Geld zu bezahlen. Zugegeben, diese Reise war nicht immer von Erfolg geprägt, doch der Drang zu kreieren hat nie aufgehört. Aktuell haben wir zwei Firmen: Einerseits die Digital-Performance-Marketingagentur Growth DNA, bei der wir alles auf Conversion drehen. Wir sind keine Designer, uns geht es ausschließlich um den Nutzen. Hauptsache, der Kunde verkauft sein Produkt. Andererseits gibt es unser Start-up Crqlar, mit dem wir Software für Hotels entwickeln.
Crqlar ist ein datengetriebenes Tech-Start-up und explizit in der Hotellerie tätig. Warum? Alle meine Businessideen entstehen irgendwie zufällig. Mein erstes Start-up war eine Taxi-App, gegründet zwei Jahre, bevor Uber auf den Markt kam. Die Idee entstand, als wir vor dem Weg in die Stadt bei mir gegrillt haben. Wir waren damals jung, haben ein Taxi gerufen, es dann aber vergessen, bis plötzlich der Fahrer bei mir im Garten stand und sagte, er würde schon lange warten. Und wir dachten: Wir haben jetzt Smartphones. Warum nutzt das niemand dafür? Wir haben damals in Innsbruck gegründet, was rückblickend ziemlich ambitioniert war. Crqlar entstand schließlich ebenfalls aus einem Zufall. Ich wurde eingeladen, mit meiner Agentur in einem Hotel einen Workshop über datengetriebenes Marketing abzuhalten. Die Hotelchefin hat mir dann erzählt, auf welchen Datenbergen Hotels eigentlich sitzen – und dass sie diese Informationen kaum nutzen können, weil alles in irgendwelchen Datensilos verschwindet. Und ich dachte mir: Wow, ein Hotel weiß unfassbar viel über seine Gäste: Namen, Mitreisende, Allergien, Essgewohnheiten, Anreise, Ausgaben, Haustiere, Lieblingsgetränke. Das sind Datensätze, von denen andere Branchen nur träumen können. Ein solches Gästeprofil kann seitenweise Notizen haben. Vor allem bei Stammgästen. Ein Mitarbeiter müsste eigentlich jeden Tag hineinschauen und sich durch zehn Jahre Notizen wühlen, um herauszufiltern: Was ist relevant für den morgigen Check-in? Das macht natürlich niemand. Wir bauen aus diesen Daten mit unserer Software nutzbare, saubere Profile und ermöglichen Hotels auf diese Weise besseres Marketing und eine bessere Gästekommunikation. In der gehobenen Hotellerie ist das ein massiver Mehrwert. Der Infinity-Pool hebt mich von meinem Nachbarn nicht ab, aber personalisierte Gastaufmerksamkeit birgt echtes Differenzierungspotenzial.
Sie meinten, Innsbruck war als Gründungsstandort für Ihre Taxi-App suboptimal. Wie bewerten Sie Tirol generell als Kreativstandort? Wir haben richtig coole Leute hier – gut ausgebildet, schlau, motiviert. Doch wir haben aufgrund der traumhaften Location auch ein großes Life-Life-Balance-Thema. Work kommt bei vielen kaum mehr vor und wird oft als negativ empfunden. Das ist nicht wertend, einfach eine Beobachtung. Und: Wir Europäer*innen sind generell risikoavers. Im Vergleich zu den USA, UK, Israel oder Singapur sind wir extrem vorsichtig. Und eigentlich mag ich über das Thema gar nicht sprechen, doch auch die Regulierungsthematik ist ein Problem. Wir neigen stark zur Überregulation und zerbrechen uns den Kopf über Cookie-Banner, während US-Konzerne mit ihrem gigantischen Krakenarmen Unmengen von Daten abgreifen. Ich bin absolut für Datenschutz, doch wie dieser aktuell gestaltet ist, ist er ein Innovationshemmnis.
Haben Sie je überlegt, mit Ihren Unternehmen aus Innsbruck oder Tirol wegzugehen? Das war ich. Ich war sechs Jahre in Mailand und Wien und bin bewusst zurückgekommen. Ich habe mittlerweile zwei kleine Töchter und bin sehr dankbar dafür, mit ihnen in Innsbruck zu leben. Aus Unternehmersicht ist das etwas anders. Nach einer anfänglichen Test- und Entwicklungsphase müsste man wahrscheinlich hier weggehen, im Minimum nach Wien, wahrscheinlich noch weiter weg, wenn es sich um ein Consumeprodukt handelt. In großen Städten entstehen ganz andere Ökosysteme. Ein Start-up wird groß, die ersten Mitarbeiter*innen gründen neue Firmen aus, daraus wachsen wieder welche … In Tirol fehlt das noch. Meine heimliche Ambition wäre, dass wir in der Mühle dieses Ökosystem mit aufbauen.
Wie viele Leute sind aktuell im Umfeld der Growth DNA beschäftigt? Der gemeinsame Nenner aller Unternehmen in der Mühle ist die Growth DNA. Uns alle eint ein ähnliches Mindset und ein hoher Grad an Know-how. Das heißt, wir können mit relativ geringem Aufwand einen sehr großen Mehrwert für unsere Kund*innen liefern. Gleichzeitig hat jeder den Freiraum, daneben eigene Projekte auszuprobieren. Die Growth DNA bietet dafür auch die entsprechende finanzielle Freiheit. Wir möchten in der Agentur außerdem eine Form von Risikobereitschaft trainieren, die hierzulande vielfach abhandengekommen ist. Wer bei uns anfängt zu arbeiten, wird natürlich begleitet, aber auch massiv ins kalte Wasser geworfen. Man muss lernen, selbst für sich einzustehen.
Wie viele konkrete Projekte und Ideen sind in der Mühle derzeit in Umsetzung? Neben der Growth DNA und Crqlar ist Lina Graf mit ihrem Start-up Doc2Me bei uns in der Mühle, dazu kommen Projekte einzelner Teammitglieder. Doch die ewige Liste an Ideen ist lang. Unser Backlog ist gut gefüllt, aktuell fehlt uns allerdings die Zeit, sie auch umzusetzen. Und manchmal passiert es dann, dass man seine eigene Idee plötzlich als fertiges Produkt am Markt sieht und sich denkt: Sch****.
Haben Sie Pläne für die Zukunft? Als Start-up können wir kaum länger als sechs Monate in die Zukunft planen. Auch die Technologien verändern sich derzeit so rasant, dass langfristige Pläne in unserem Bereich fast absurd wären. Doch wir haben Visionen. Wir kennen unser Produkt und den Markt. Mit Crqlar ist unsere Ambition, ein globaler Player in der Hotellerie zu werden. Das ist unser Anspruch und den braucht es auch, ansonsten würde man die Energie nicht aufbringen, die es kostet. Ich bin ein Familienmensch und arbeite gleichzeitig sieben Tage die Woche. Damit man das auf Dauer durchziehen kann, braucht es ein großes Ziel, sonst tut man sich das nicht an.
Sie haben einige Unternehmen gegründet, manche erfolgreich, manche nicht. Wenn ein Vorhaben nicht funktioniert, werten Sie das als persönliches Scheitern, und macht es auf der anderen Seite stolz, wenn es funktioniert, oder ist das ohnehin das Ziel und sohin selbstverständlich? Scheitern ist etwas, das dazugehört. Der wichtigste Teil ist die Retrospektive – und zwar bei Erfolgen wie bei Misserfolgen gleichermaßen: Was ist passiert? Warum ist es so gekommen? Was kann man daraus lernen? Meine schwerste Zeit war, als ich mein erstes Unternehmen verkauft habe. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet und meine damalige Freundin und heutige Frau eigentlich nur beim Ausgehen im Club gesehen, weil wir sonst keine gemeinsame Zeit hatten. Und nach dem Verkauf war plötzlich … nichts. Ein Burn-out hatte ich nie, bin dann aber in ein richtiges Bore-out gefallen. Von tausend auf null, das war hart und hat mich mehr mitgenommen als jeder Misserfolg. Zum Glück konnte ich dann unsere Hochzeit planen und hatte wieder etwas zu tun.
Scheitern wird vielfach noch mit Versagen assoziiert. Wie schätzen Sie die Fehlerkultur hierzulande ein? Wir sind in der Kultur des Scheiterns deutlich entspannter geworden. Ein Fehlschlag ist nicht mehr so dramatisch, wenngleich es einen Unterschied gibt zwischen einem ehrlichen Versuch, der nicht aufgeht, und wirklichem Fehlverhalten. Dieses Ausprobieren leben wir sehr bewusst. Wir hatten zum Beispiel lange unseren PPT, den Prosecco-Projekt-Tag, der in letzter Zeit leider etwas eingeschlafen ist, weil wir mit unseren Start-ups gerade gut ausgelastet sind, aber früher war das fix: In der Früh setzen wir uns zusammen, pitchen uns gegenseitig Ideen und versuchen dann, innerhalb eines einzigen Tages ein komplettes Produkt aufzubauen – Website, Funktion, Marketing. Am besten so, dass wir noch am selben Tag live gehen können. Und dann sehen wir sofort: Will das jemand? Funktioniert das? Kauft das wer? So ist auch unser Widget für barrierefreie Websites entstanden. Andere Agenturen verlangen dafür Tausende Euro, wir haben uns angeschaut, wie das Barrierefreiheitsgesetz aktuell ausgelegt wird, und festgestellt: Man muss nicht alles perfekt machen, aber man muss erste sinnvolle Schritte setzen. Also haben wir in einem Tag ein kleines Tool gebaut, das man in fünf Minuten auf jeder Website installieren kann und das Schriftgrößen, Kontraste und Vorlesefunktionen ermöglicht. Inzwischen nutzen das viele unserer Kund*innen. Natürlich hatten wir auch schon richtig blöde Ideen – doch genau das macht den Spaß aus. Diese Leichtigkeit, dieses „Probieren wir’s einfach“, prägt die ganze Mühle. Was soll im schlimmsten Fall passieren? Wir sind stark softwaregetrieben, das heißt, wir können mit relativ wenig Risiko testen. Bei Produktionsbetrieben wäre das naturgemäß anders, dort sind Dummies mit hohen Investitionskosten verbunden.
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Eigenschaft, die man als Selbständiger mitbringen sollte? Durchhaltevermögen. Nicht aufgeben. Wenn man gegen eine Wand läuft, analysieren, warum das passiert ist und ob sich nebenan nicht doch eine Tür öffnet. Und gerade für Start-ups ist es wichtig, sich mit dem Markt und seinen Kund*innen zu beschäftigen. In klassischen Branchen gibt es meist einen definierten Zielmarkt, Start-ups betreten Neuland. Das Problem ist, dass viele nicht mit ihren potenziellen Kund*innen reden und jahrelang für imaginäre Zielgruppen und völlig am Markt vorbei entwickeln. Am Ende hat man ein Produkt, das niemand will oder braucht. Man muss also laufend kommunizieren, zuhören, testen, anpassen. Das ist eines der wohl größten Learnings aus meinen Start-ups: Man muss reden, reden, reden – im Team und mit den Kund*innen.
Interview: Marina Bernardi
Fotos: Dino Bossnini

