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Life

Wasser-Kraft

22.6.2023

Geologisch liest sich die Gleirschklamm wie ein offenes Buch der Erdgeschichte. Die einzelnen Gesteinsschichten aus der Jura- und Triaszeit erkennt man an der unterschiedlichen Färbung der Wände, aus denen sich bizarre Landschaften mit grau-weißem Muster formen. „Die Rauwacke – so heißt der auffällige Kalkstein, der hier die Landschaft prägt – ist ein fast schwammartiger Stein, so porös und empfindlich ist er nach Jahrtausenden der Erosion. Tief in die Löcher höhlt das donnernde Wasser mit gewaltiger Kraft. Das ist ein nagender Prozess, dem der weiche Kalkstein kaum Widerstand leisten kann. Die Temperaturunterschiede von bis zu 20 Grad tun ihr Übriges, wenn sich das Wasser im Winter als Eis ausdehnt. So höhlt sich der Gleirschbach im Lauf der Erdzeit immer tiefer in die Klamm“, erklären die Experten des Naturpark Karwendel, in dessen Gebiet die Gleirschklamm liegt und in dem sie zu den Top 10 der schönsten Orte zählt. Das kommt nicht von ungefähr.

Steil ragen die wuchtigen Felswände nach oben, Holzbrücken und -stege führen sanft über das Wasser. Kleine Wasserfälle füllen zahlreiche Gumpen, vor allem an heißen Sommertagen ist die Gischt der schäumenden Strudel eine willkommene Erfrischung. Doch nicht nur geologisch, auch landschaftlich ist die Gleirschklamm ein wahrlich natürlich-kunterbuntes Kleinod. Flora und Fauna haben es geschafft, sich an diesen lebensfeindlichen Standort anzupassen. Seltene Pflanzen haben faszinierende Überlebenstechniken entwickelt. Wer mit offenen Augen durch die Klamm geht, kann mit ein bisschen Glück wunderschöne Orchideen wie die ausgefallene Fliegenragwurz entdecken oder Armleuchteralgen, die wie kleine Tannenbäume unter Wasser anmuten. Zwischen den schroffen Felsen und dem tosenden Wasser hat auch so manche Tierart ihr Zuhause gefunden. Der Alpensalamander zum Beispiel oder Wasseramseln, deren Zwitschern einen herrlichen Kontrast zum Rauschen des Baches bildet. Selten kann man die Natur in all ihrer Prächtigkeit so genießen und hautnah erleben wie hier.

In der Gleirschklamm stecken auch noch zahlreiche andere Geschichten. Jene der Holztrift etwa. Bevor es Traktoren und Lkw gab, war über Jahrhunderte die Trift die einzige Möglichkeit, Holz aus entlegenen Landstrichen Tirols zu bringen. Ein mühevolles und gefährliches Unterfangen. Die leopoldinische Waldordnung aus dem 16. Jahrhundert berichtet von der Ausübung der Trift auf der Isar und aus dem Gleirschtal, um 1600 findet die Amtsäge im Gleirschtal ihre erste Erwähnung. Das Holz dafür wurde hauptsächlich im Winter geschlägert und auf Schlitten zum Gleirschbach gebracht. Im Frühsommer wurde das Schmelzwasser am Beginn der Gleirschklamm bei der sogenannten „Klausen“ aufgestaut und nach Erreichen des nötigen Wasserstandes das Klausentor schließlich mit einem wuchtigen Schlag geöffnet. Die Bloche schossen durch die enge Klamm mit dem mächtigen Wasserschwall bis zur Länd in Scharnitz, von wo aus die Stämme oft zu Flößen zusammengebunden und auf der Isar auf die Weiterreise geschickt wurden. Bei Mittenwald wurden diese zudem mit Waren aller Art beladen. Somit galt das Wasser als schnellstes, effektivstes und obendrein billigstes Transportmittel zu dieser Zeit.

Der Einstieg in die Klamm erfolgt von Scharnitz aus über den Isarsteig, vorbei an der Scharnitzer Alm über den Nederweg. Schon der Beginn lädt mit seinen Rastplätzen und Infotafeln zum kleinen Innehalten ein und dazu, seine Füße im kalten Bach zu erfrischen und sie für den rund 45-minütigen Gang durch die Klamm zu aktivieren. Am Ende der Klamm hat man verschiedene Möglichkeiten und wandert entweder über die Oberbrunnalm oder den Hochwald zurück nach Scharnitz, wer mag, geht entlang des Gleirschtales weiter über die Forststraße bis zur Kristen- oder Möslalm, wo man die Tour gemütlich ausklingen lässt, bevor man sich rundum gestärkt auf den Rückweg macht. Das geht entweder über das Gleirschtal über den so genannten Krapfen oder man nimmt die Gleirschklamm in entgegengesetzter Richtung.

Text: Marina Bernardi

Fotos: Tom Bause

Aus: Zeitlos Sommer 2023


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