Während der Bund unverdrossen neue Schulden macht, müssen die Gemeinden versuchen, ausgeglichen zu bilanzieren. Das wird durch gestiegene variable Kreditzinsen – die aktuelle Zinsstruktur geht aus dem Gemeindefinanzbericht nicht hervor –, teure Energie und notwendige Investitionen in Infrastruktur und Daseinsvorsorge nicht einfacher. Auch das zusätzliche Geld aus dem sogenannten Zukunftsfonds, eingerichtet im Zuge des neuen Finanzausgleichs, wird bei weitem nicht reichen, damit in den Gemeindestuben so etwas wie Euphorie aufkommt. Die Herausforderungen scheinen größer als die zur Verfügung stehenden (finanziellen) Mittel. „Im Jahr 2022 ist der Schuldenstand erfreulicherweise von 1.170 Millionen auf 1.161 Millionen Euro gesunken. Im bundesweiten Vergleich befinden sich die Tiroler Gemeinden bei der Pro-Kopf--Verschuldung im Mittelfeld“, heißt es im Vorwort zum Gemeindefinanzbericht 2022. Not great, not terrible. Aber es gibt auch Ausreißer, im positiven wie im negativen Sinn. Mit Jahresende 2022 waren neun Tiroler Gemeinden schuldenfrei und 18 Kommunen mit einem Verschuldungsgrad von über 80 Prozent voll verschuldet.
Schuld(en) ohne Sühne
Obwohl der Bericht für die Marktgemeinde Matrei in Osttirol mit dem Stichtag „nur“ einen Verschuldungsgrad von 44 Prozent – nach 100 Prozent 2020 und 41 Prozent 2021 – aufweist, ist dort bekanntermaßen Feuer am Dach. Vor diesem Hintergrund darf man das offizielle Zahlenwerk wohl zumindest in Teilen als Makulatur betrachten. Papier ist geduldig. Wie genau Matrei in Osttirol in die finanzielle Misere geraten ist, die sogar zu Konkursgemunkel geführt hat, weiß man nicht genau. In der politischen Sphäre scheint niemand echtes Interesse daran zu haben, die Herkunft des Bergs an Schulden und Haftungen von rund 37 Millionen Euro – Stand Redaktionsschluss – zu rekonstruieren und die Zusammenhänge aufzudecken. Nicht einmal der neue Bürgermeister selbst, dem der Dorffriede wichtiger ist als die Suche nach (einem) Schuldigen für das kapitale Fiasko, vor dem die Tauerngemeinde steht. Das ist insofern nachvollziehbar, als das hehre Ideal der politischen Verantwortung schlicht nicht durchsetzbar ist und bereits in der Vergangenheit in Österreich die Losung ausgegeben wurde, dass für manche Partei erst das Strafrecht die rote Linie ist, wo es wirklich brenzlig wird. Damit ist die politische Verantwortung als Kategorie tot, Appelle an diese sind daher müßig. Dabei liegt es auf der Hand, dass nicht nur in Matrei in Osttirol in der Vergangenheit mit Sicherheit nicht „alles richtig gemacht“ wurde, sondern nicht weniges falsch.
Das gilt freilich auch für den Gemeindeverband, der seine GemNova weitgehend unkontrolliert an die Wand fahren ließ. Solange aber für politisches Fehlverhalten kein konkreter Vorsatz nachweisbar ist, spielt sich alles auf der weichen Spielwiese der politischen Verantwortlichkeit statt der ungleich härteren Anklagebank ab. Das ist die Realität. Sie zeigt aber auch, dass Macht – unabhängig von der Ebene, auf der sie ausgeübt wird – Kontrolle braucht: In den Gemeindestuben, in den Gemeindeparlamenten, aber auch in der Zivilgesellschaft, unter den mündigen Bürger*innen. Machtmissbrauch und Selbstherrlichkeit dürfen niemals „Part of the Game“ sein. In Anlehnung an Sartre könnte man auch sagen: Wer die Mächtigen gegen sich hat, verdient Vertrauen. Jemand, der in seiner Gemeinde kritische Fragen stellt und Zusammenhänge nachvollziehen möchte, ist kein Querulant, macht sich nicht des Dorffriedensbruchs schuldig und ist erst recht kein „Nestbeschmutzer“, der mundtot gemacht werden muss. Nein, gerade diese Menschen, die sich nicht mit der erstbesten Erzählung zufriedengeben und mit der einfachsten Erklärung abspeisen lassen, sind für die politische Hygiene von großer Bedeutung. Sie können ein Korrektiv sein.
Dorffriedensliebe
Um des lieben (Dorf-)Friedens willen gibt man sich damit zufrieden, die Vergangenheit ruhen zu lassen und es stattdessen lieber zukünftig anders, nach Möglichkeit besser, zu machen. Das ist vielleicht gar keine schlechte Strategie, sagt doch auch die Wissenschaft, dass die intakte Dorfgemeinschaft samt regem Vereinsleben ein Quell der Harmonie und damit des Wohlbefindens für die Bevölkerung sein kann. Wer also als Dorfchef*in mit einem Hang sowohl zur Harmonie als auch zur seriösen finanziellen Gebarung ausgestattet ist, bringt schon sehr vieles mit, um nicht im ganzen Land als Negativbeispiel herumgereicht zu werden und seine Gemeinde voranzubringen. Die anstehenden Aufgaben werden – so viel scheint in Zeiten verschiedener Umbrüche sicher – nicht kleiner, die Budgets zu deren Gestaltung nicht unbedingt größer.
In der Printausgabe haben wir das Zahlenwerk der 277 heimischen Gemeinden genauer unter die Lupe genommen. Außerdem haben wir mit Catarina Lachmund vom Kopenhagener Happiness Research Institute über Gemein(de)wohl durch Gemeinschaft und mit dem Tiroler Gemeindeverbandspräsidenten Karl-Josef Schubert gesprochen. Zudem haben wir unterschiedliche Gemeindestimm(ung)en eingefangen und im Zuge dessen Patrick Geir (Bürgermeister von Matrei am Brenner, das Anfang 2022 mit Mühlbachl und Pfons fusionierte), Stefanie Krabacher (Bürgermeisterin von Tirols kleinster Gemeinde Gramais) und Raimund Steiner (Bürgermeister von Matrei in Osttirol) zum Interview gebeten.
Text: Marian Kröll