Atmosphäre kann man nicht messen. Atmosphäre lässt sich jedoch erzeugen. Das ist die Hauptaufgabe eines zeitgemäßen Stadtmarketings, das sich als Dreh- und Angelpunkt im Netzwerk der Urbanität versteht. Koordinierend, beratend, innovierend. Stadtmarketing spielt zunehmend auch in der Stadtentwicklung eine wichtige Rolle. Worauf es ankommt, haben wir mit Michael Gsaller, dem Präsidenten des Dachverbandes Stadtmarketing Austria, Vizepräsidentin Daniela Limberger und Vorstandsmitglied Edgar Eller ausgelotet.
Beginnen wir gleich mit der Frage nach der Daseinsberechtigung des Stadtmarketings. Wozu braucht es das überhaupt?
MICHAEL GSALLER: Im Zusammenleben einer Gemeinde gibt es etliche Aufgaben, die eine einzelne Institution sehr schwer allein bewältigen kann. In Kooperation funktioniert es. Unser ganzes Tun ist von Zusammenarbeit geprägt. Das klingt einfach, bedeutet praktisch hingegen oft das Bohren dicker Bretter. Man kann weder einen Event, noch eine Betriebsansiedlung noch ein Verkehrskonzept machen, ohne alle Partner*innen eingebunden zu haben.
Ist das Aufgabenspektrum des Stadtmarketings seit dessen einsetzender Professionalisierung in den 1990er-Jahren über die Jahrzehnte hindurch breiter geworden?
DANIELA LIMBERGER: Ja. In den 1990er-Jahren hat man zunächst erkannt, dass vor allem der stationäre Handel in den Städten eine übergeordnete Organisation braucht, die vorrangig koordinierende Tätigkeiten übernimmt. An den Stadträndern haben sich damals die ersten Einkaufszentren angesiedelt, die Innenstädte mussten mit einem eigenen, abgestimmten Programm dagegenhalten. Unter Stadtmarketing hat man sich einen Koordinator vorgestellt, vergleichbar mit einem Centermanager. Im Lauf der Zeit hat sich gezeigt, dass wir unsere Innenstädte nicht mehr nur durch die Brille des Konsums betrachten dürfen. Um sie lebendig zu gestalten, braucht es mehr. Es braucht Menschen, die darüber nachdenken, was die Menschen, die hier leben und arbeiten, genauso wie die Gäste brauchen und wie diese Bedürfnisse miteinander in Einklang gebracht werden können. Wenn ein Gefüge gut funktioniert, steckt meistens viel Arbeit dahinter. Um Stadtmarketing gut betreiben zu können, braucht es ein Gespür dafür, wie die Stadt tickt.
Stadtmarketing ist demnach wesentlich eine Aufgabe, die mit der atmosphärischen Stadtgestaltung zusammenhängt. Kann man eine Stadt bewerben, die nicht lebt, aus deren Stadtkern die Bewohner*innen hinausdrängen und die damit einen beinahe musealen Charakter bekommt?
EDGAR ELLER: Bewerben könnte man sie schon, allerdings als Museum. Venedig ist wohl das berühmteste Beispiel dafür. Damit eine Stadt lebendig wird, braucht es die Menschen, die dort sind und von dort sind. Das können auch Gäste sein, primär geht‘s natürlich um die Einheimischen. Für die Lebendigkeit braucht es Leute, die dort leben, die Stadt als ihre erkennen und gestalten wollen. Die Gebäude sind nicht die Stadt.
Wann sind Sie als Stadtmarketer der Ansicht, Ihre Arbeit gut gemacht zu haben?
GSALLER: Wir denken die Stadt von ihren Bürger*innen her. Unser Anliegen ist es, atmosphärisch positiv Stadt zu gestalten.
LIMBERGER: Das ist ein bisschen das Dilemma, in dem wir stecken. Für uns definieren wir für unseren Erfolg Kriterien, die nicht so einfach zu messen sind. Atmosphäre kann man nicht messen. Das ist nicht so einfach, wenn es um die Formulierung von Zielvereinbarungen geht. Es funktioniert nicht, einfach am Kommunalsteueraufkommen ablesen zu wollen, wie gut ein Standortmarketing seinen Job macht. Das ist eine Herausforderung. Es macht sich vielleicht nicht kurzfristig, aber zumindest mittelfristig bemerkbar, wenn das Stadtmarketing vernachlässigt wird oder man gar darauf verzichtet.
ELLER: Unter Politiker*innen gibt es das Missverständnis, zu glauben, die Stadt wäre so etwas wie ein Unternehmen. Dabei ist sie eher wie eine Familie. Die Stadt ist ein Gefüge von Menschen, ein sozialer Organismus. Wer unternehmerische Maßstäbe anlegt, kann nur scheitern.
Kommen Institutionen des Stadtmarketings deswegen öfters in Rechtfertigungsnotstand?
GSALLER: Jeder in der Stadt hat seine Partikularinteressen und das ist auch gut so. Wir unterstützen das Unternehmertum und begrüßen, dass Interessen artikuliert werden. Unsere Aufgabe ist es, daraus einen positiven gemeinsamen Nenner zu finden, der zukunftsträchtig ist. Kooperation ist schwierig, anstrengend und mit täglichem Erklärungsbedarf verbunden. Funktioniert etwas, freuen sich dagegen letztlich alle darüber und wir gewinnen dadurch alle an Lebensqualität.
Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde. Wie bearbeitet man im Stadtmarketing dieses Thema?
GSALLER: Nachhaltigkeit liegt in unserer DNA. Und das nicht erst, seit überall darüber gesprochen wird. Nehmen wir den Veranstaltungsbereich: Natürlich bediene ich mich da in der Region, bei regionalen Anbietern. Das ist naheliegend. Ich finde es interessant, wie viele grüne Plaketten man sich mittlerweile anstecken könnte für Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten.
ELLER: Es ist immer verdächtig, wenn über ein Thema ganz viel und demonstrativ geredet wird. Über das, was einem ohnehin selbstverständlich erscheint, redet man normalerweise nicht. So geht es uns mit der Nachhaltigkeit.
Ist von Stadtentwicklung die Rede, stehen dabei meist planerische Aspekte im Fokus. Welchen Beitrag kann Stadtmarketing zu einer gelungenen Stadtentwicklung leisten?
ELLER: Geht es um die Planung der gebauten Umwelt, wird gern mit Renderings gearbeitet. Da ist immer etwas los, da sind Familien abgebildet, da herrscht Bewegung. Unser Job beginnt, wenn die Gebäude stehen und mit Leben zu füllen sind. Im Idealfall sind wir natürlich in der Planungsphase von Anfang an mit eingebunden, weil der gebaute Ort immer ein Spiegel dessen ist, was einem wichtig erscheint. Atmosphäre lässt sich besser gestalten, wenn sie im Bauprozess mitgedacht wird. Gebäude ohne Menschen sind tote Materie.
LIMBERGER: Das Verständnis für die konstruktive Rolle, die wir in der Stadtentwicklung einnehmen können, kommt in den letzten Jahren immer mehr. Ich werde in meiner Stadt zu den Sitzungen des Gestaltungsbeirats eingeladen und bin bei jedem Quartiersentwicklungsprojekt von Anfang an eingebunden. Das ist großartig. Es war nicht immer so. Man hat verstanden, dass wir Wissen und ein tiefes Verständnis dafür mitbringen, wie die Stadt tickt.
GSALLER: Die meisten Stadtmarketingorganisationen sind bei uns in den 1990er-Jahren aus Werbevereinen hervorgegangen und aus einem zentralen Bedürfnis heraus entstanden. Wir in Hall machen Stadtmarketing durch Stadtbelebung, durch Veranstaltungen, durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die Stadt zu attraktivieren. Die Haller Altstadt – es ist die größte Westösterreichs – können wir nicht beleben, wenn wir nur „Hallerisch“ denken. Wir haben zu wenig Einwohner*innen, um diese Altstadt nachhaltig zu beleben. Wir müssen zumindest die Umlandgemeinden mitdenken, besser noch den ganzen Raum zwischen Innsbruck und Schwaz. Dort leben 300.000 Menschen, die wir ansprechen können. Wir können uns als Ortsteil in diesem Ballungsraum verstehen. Wenn ich so denke, ergeben sich plötzlich ganz neue Perspektiven. Wir müssen uns als übergeordnetes Standortmarketing begreifen, um uns weiterentwickeln zu können. Kirchturmdenken bringt uns nicht weiter. Und auch der Einwohner hat eine ganz andere Landkarte im Kopf, die vor Gemeindegrenzen natürlich nicht Halt macht. Vom Touristen ganz zu schweigen. Umfassendes Standortmarketing in jeglicher Hinsicht ist die Zukunft des Stadtmarketings.
Herr Gsaller, Sie sind Präsident des Vereins Stadtmarketing Austria, dem mittlerweile über 80 Stadtmarketingeinrichtungen aus dem ganzen Land angehören. Daniela Limberger ist die Vizepräsidentin. Sie beide haben vorhin den Wert der Kooperation betont. Wie sieht es damit im Verein aus?
GSALLER: Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie proaktiv und freundschaftlich der Austausch zwischen unseren Mitgliedern funktioniert.
LIMBERGER: Der Wissensaustausch geht schnell und unkompliziert, binnen kürzester Zeit habe ich bei Bedarf Informationen darüber, wie die Dinge im gesamten Bundesgebiet gehandhabt werden. Bei meiner ersten DenkwerkStadt im Rahmen des Vereins habe ich mit einem gewissen Konkurrenzdruck gerechnet, aber jeder gibt bereitwillig Auskunft und man hilft einander weiter.
GSALLER: Das Beste, was mir als Standortmarketer passieren kann, sind gute Mitbewerber*innen. Ein Problem bekomme ich nur, wenn die Kolleg*innen umliegender Stadtmarketings keine gute Arbeit machen würden. Ist der Mitbewerber gut, dann spornt uns das alle zu noch besseren Leistungen an. Wir profitieren alle davon, uns gegenseitig zu stärken und zu unterstützen.
ELLER: Das wirkt auch dem Trend entgegen, die Stadt schlechtzureden. Je besser die Städte funktionieren, desto lieber gehen Menschen dorthin. Wenn Innsbruck urban lebendig ist, profitiert auch Hall.
Kommt es vor, dass frische Ideen zunächst als Spinnerei abgetan werden?
LIMBERGER: Man muss den richtigen Zeitpunkt finden, die Idee den richtigen Personen in der richtigen Reihenfolge vorzutragen. Ideen können auch nicht im luftleeren Raum stehen bleiben. Man muss darlegen, welchen Zielen sie dienen.
GSALLER: Wir haben uns früher die Frage gestellt, ob unsere Tätigkeit auf die Marke der Stadt einzahlt. Heute sind wir im Dachverband der Meinung, dass eine Stadt keine Marke ist, sondern dass eine Stadt Identitäten hat – und zwar durchaus mehrere. Deshalb ist für uns heute die Frage handlungsleitend, ob unser Tun eine Identität stärkt. Dafür haben wir über die Jahre ein feines Sensorium entwickelt. Wir scheuen uns auch nicht davor, Projekte oder Veranstaltungen wieder zu streichen oder eben neue zu entwickeln. So haben wir zum Beispiel in der Coronazeit die Gastgarten-Wandermusik „erfunden“ – und sie danach sehr erfolgreich weiterentwickelt. Neben Fachwissen braucht es dazu also auch ein verlässliches Bauchgefühl. Eine große Stärke des Stadtmarketings ist es, Nein sagen zu können, Bestehendes sein zu lassen und Neues zu probieren. Nicht jede vermeintlich gute Idee stärkt die Identität.
Identitätsstiftende oder -stärkende Aktivitäten müssen folglich authentisch sein und zum Geist des Ortes und seiner Menschen passen?
ELLER: Ja. Und das ist auch eine große Stärke eines professionalisierten Stadtmarketings, das nicht Diener eines einzigen Herren ist und nicht nur Partikularinteressen vertritt, sondern das große Ganze im Blick haben darf.
Es ist eine globale Entwicklung, dass der stationäre Handel seit Jahren unter Druck ist. Das manifestiert sich auch in innerstädtischen Leerständen. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
ELLER: Einzelhandel in dieser Dimension ist eine historische Anomalie gewesen, die das Stadtleben für ein paar Jahrzehnte geprägt hat. Wir sind momentan in einer Transformation, die völlig normal ist. Dass der Handel sich zu einem niedrigeren Niveau zurückbewegt, kann man absolut nicht als Niedergang der Städte interpretieren. Es gab eine Zeit, in der man wohl dachte, dass der Einzelhandel der vorrangige Existenzgrund der Stadt ist. Diese Zeit ist vorbei. Es gibt Platz für Neues.
Was kann dieses Neue sein?
GSALLER: Wir sind Verfechter der sogenannten 15-Minuten-Stadt, die alle wichtigen Lebensbereiche – Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit – im unmittelbaren Umfeld konzentriert. Das widerspricht der Konzeption, nach der man viele Jahrzehnte Städte geplant und gebaut hat, nämlich mit einer rigiden Trennung all dieser Funktionen. Das hat viel Verkehr erzeugt und daraus ist die sogenannte „autogerechte Stadt“ entstanden. Diese hat auch abseits der Verkehrsbelastung massive Nachteile. Wir fühlen uns dem Konzept einer Stadt der kurzen Wege verpflichtet.
Hat die historisch gewachsene Stadtstruktur, wie es sie in Hall gibt, Vorteile gegenüber einer Stadt, die irgendwann im vorigen Jahrhundert streng nach Funktionen getrennt auf die grüne Wiese geklatscht wurde?
ELLER: Ich würde sogar sagen, dass es historisch gebaute Städte schwerer haben, weil sie aus einer Zeit kommen, die von der Moderne noch nichts wusste. Jüngere Städte können dagegen auf Grundlage der Bedürfnisse der Gegenwart gebaut werden. Das geht in Hall nicht. Hier muss man mit der Substanz arbeiten. Dafür ist das sehr nachhaltig.
LIMBERGER: Reine Copy-paste-Ansätze funktionieren im Stadtmarketing nicht. Man kann Anleihen an bestehenden Modellen nehmen, sie aber nicht eins zu eins übertragen. Wer vor Ort ist, den Alltag lebt und miterlebt, wird am besten wissen, was der Ort braucht.
GSALLER: Wenn man hier in Hall durch die Gassen geht, dann wird an den Proportionen ersichtlich, dass die Stadt für Fußgänger gebaut wurde. So sehr man derzeit noch der Meinung ist, dass die Autos auch in der Altstadt gebraucht werden, so sehr sieht man, dass sie eigentlich ein Fremdkörper sind.
Welche Rolle spielen Kunst- und Kulturangebote in Ihrer Arbeit?
LIMBERGER: Die Sichtbarkeit von Kunst und Kultur ist für den Standort ein sehr relevanter und identitätsstiftender Faktor. Daran zeigt sich, wie eine Stadt sein möchte und wie sie sich selbst begreift.
ELLER: Der öffentliche Raum muss keine Galerie sein. Kunst und Kultur sind zum einen elementare Bestandteile der menschlichen Zivilisation, objektiv betrachtet andererseits auch ein Standortvorteil. Daran zeigt sich, dass auch auf geistiger Ebene Betriebsamkeit herrscht. Findet in einer Stadt ein Festival statt, greift diese Atmosphäre auf die Bevölkerung über. Die Leute ziehen sich anders an, benehmen sich anders und werden zwei Zentimeter größer. Man darf das allerdings nicht instrumentalisieren, die Kultur muss tatsächlich gelebt werden.
Was begreifen Sie gegenwärtig als größte Herausforderungen?
LIMBERGER: Aus Sicht unseres Vereins sicherlich den Support für unsere Mitglieder. Die Kommunen müssen gerade finanzielle Löcher stopfen, die öffentlichen Haushalte stehen stark unter Druck. Da wird zunächst bei Ausgaben gespart, die nicht zwingend anfallen. Wer beim Stadtmarketing zu sehr spart, bekommt dafür später die Rechnung präsentiert. Langjährige Aufbauarbeit kann man sehr schnell zunichtemachen. Dafür wollen wir Bewusstsein wecken.
ELLER: Wir sind in den Städten in einer Phase des Umbruchs. Neuen Zeiten sollte man nicht mit alten Rezepten begegnen. „More of the same“ geht nicht mehr.
GSALLER: Das sehe ich auch so. Es gibt viele externe Faktoren, die wir nicht steuern können. Was wir beeinflussen können, sind unsere lokalen Gegebenheiten. Wir wollen gestalten, wo wir es können, und uns darauf konzentrieren. Gemeinsam mit den Bürger*innen haben wir in unserer unmittelbaren Umgebung Gestaltungsmacht und Gestaltungsspielräume. Die sollten wir nutzen.
Was schätzen Sie am städtischen Leben?
GSALLER: Eine Motivation, in die Stadt zu gehen, ist die Irritation. Das mögen die Menschen. In der Haller Altstadt kann ich mich auf eine beliebige Bank setzen und werde viele Dinge sehen, die mich eigentlich irritieren. Dinge, die mich stören, genauso wie Dinge, die ich toll finde. Das ist der Reiz der Städte. Wenn ich geordnete Verhältnisse haben will, gehe ich in den Wald. Ich glaube, dass der Mensch das Städtische immer nachfragen wird, wenn es gut gemacht ist. Es ist unsere Aufgabe, dazu beizutragen.
ELLER: Es geht auch darum, der Stadt Wertschätzung entgegenzubringen. Natürlich braucht es Irritation und Überraschung, das sind Elemente des menschlichen Zusammenlebens. Daneben braucht es auch Wertschätzung und das Gefühl, angenommen zu werden. Wenn man das Gefühl hat, den Verantwortlichen ist alles egal, dann überkommt mich als Einwohner*in oder Besucher*in das Gefühl, dass ich denen auch egal bin.
GSALLER: Wir arbeiten an der Atmosphäre. Das ist unser Job.
Der öffentliche Raum soll Begegnung ermöglichen. Dazu braucht es neben gastronomischen Angeboten auch konsumfreie Zonen. Wie sehen Sie das?
GSALLER: Städte sind die pulsierenden Herzen der Demokratie. Demonstrationen finden meist an den großen Plätzen der Städte statt und nicht irgendwo im Vorort. Wir müssen die Stadt als Ort dieser demokratischen Aushandlungsprozesse stärker betonen. Dazu braucht es den konsumfreien Raum. Man spricht – vor allem in Italien, zunehmend aber auch bei uns – von einer „Cappuccinoisierung“ der Innenstädte, bei der Kaffeehäuser mit ihren Schirmlandschaften die Plätze zuwuchern. Das ist eine fortschreitende Kommerzialisierung des an und für sich öffentlichen Raumes. Darüber wird zu reden sein.
ELLER: Ich habe noch nie eine Stadt erlebt, in der es zu viele konsumfreie Räume gegeben hätte. Es ist wichtig, sich irgendwo hinsetzen zu können, ohne dabei konsumieren zu müssen. Die Leute dazu zu nötigen, sich in ein Kaffeehaus zu setzen, wenn sie einmal kurz ihre Beine ausstrecken wollen, finde ich fast übergriffig.
LIMBERGER: Wir in Leonding haben sicher kein gastronomisches Überangebot. Da gibt es dieses Problem nicht. Bei einer Quartiersentwicklung muss man aber sehr sensibel dafür sein, dass das Verhältnis zwischen Gastronomie und konsumfreien Räumen stimmt.
GSALLER: Mir ist noch eines aufgefallen: Wenn es in Innenstädten Schulen gibt, dann erobern sich die Kinder den öffentlichen Raum. Jede Stadt, die Schulen und Kindergärten im Zentrum hat, ist dadurch aufgewertet. Das sorgt für Wirbel und eine gewisse Lebendigkeit, für ein positives urbanes Grundrauschen. Vor diesem Hintergrund sehe ich die Praxis, Schulen an den Stadträndern zu bauen, kritisch.
Die Themen gehen Ihnen als Stadt- bzw. Standortmarketer sichtlich nicht aus.
LIMBERGER: Das stimmt, und es ist sehr positiv, dass sich das Diskussionsniveau über die Stadt in den vergangenen Jahren stark gehoben hat. Die Menschen interessieren sich für die Stadt und ihre Entwicklungsperspektiven. Das kommt uns zugute.
Das hat womöglich mit der Pandemie zu tun. Während der Lockdowns ist die Sehnsucht nach Begegnung, nach öffentlichen Räumen, nach Urbanität bei vielen Menschen gestiegen. Das hat einen anderen Stellenwert bekommen.
LIMBERGER: Das könnte sein. Es gibt eine viel unmittelbarere Betroffenheit. Viel mehr Menschen als früher können mit dem, was wir tun, etwas anfangen.
Text & Fotos: Marian Kröll