Einfach betrachtet, wäre die Sache ja ganz einfach. Was „bio“ ist, bestimmt die EU-Verordnung, was „saisonal“ ist, der Kalender, und was „regional“ oder „lokal“ bedeutet, der Boden bzw. die Landschaft – und weil das alles so schön zusammenpasst, reden wir bei „saisonal, regional und bio“ von der heiligen kulinarischen Dreifaltigkeit verantwortungsbewusster Genießer. Nur ist es leider nicht so einfach. Die drei sind zwar Geschwister und haben demnach viel gemeinsam, aber wie das eben so ist, hängt auch hin und wieder der Hausfrieden schief. Welthandel, moderne Logistik und ganz und gar nicht stabile Konsumpräferenzen haben alles ziemlich durcheinandergebracht.
Die Logistik des Regionalen
Als die Tiroler Bio-Marke ihr Joghurt auf den Markt brachte, ließ sie aufhorchen. Hergestellt in Italien. Aufschrei? Mitnichten. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Joghurt zwar in Vipiteno, sprich Sterzing, hergestellt wird, dabei aber Milch von Biobauern aus Nord- und Südtirol verarbeitet wird. Bio vom Berg argumentiert sogar gerade mit Regionalität und stellt damit Landesgrenzen als Gegenargument für regionale Produkte in Frage: „Damit auch zur Besonderheit dieses regionalen Bio-Produktes: Die frische Bio-Milch wird in Sterzing verarbeitet und kommt von Bio-Bauern aus Nordtirol und Südtirol. Diese Kooperation macht Sinn. Für die Bio-Betriebe dies- und jenseits des Brenners sind sehr gute Milchpreise möglich. Die Qualität des Joghurts ist herausragend, eine besondere Regionalität ist gesichert.“ Womit wir bei einem Kernproblem der ganzen Thematik angekommen sind: Der Logistik des Regionalen.
„Der Geschmack der Heimat“ hat indes nichts (oder wenig) mit Vernunft zu tun. Es ist ein hochemotionales Bedürfnis. Eine Frage des Herzens. Wenn der Kopf erst einmal verstanden hat, dass sich die Grenzen zwischen zwei Ländern und regionale Produktion nicht widersprechen und dass es manchmal notwendig und für die Umwelt besser ist, lokale Produkte über einen weiten Umweg zum Gast zu schicken, wird auch das Herz sich freuen.
Vom Blatt bis zur Wurzel
Auch in Tirol ist ein Chefkoch am Werken, der mit Kraut und Rüben Furore macht. Dass gerade im Zillertal ein rein vegetarisches Restaurant erfolgreich sein könnte, wurde von kritischen Beobachtern skeptisch kommentiert. Gilt die Zillertaler Küche mit ihren Blattln, Groigg’n oder auch der Ofenleber doch eher als deftige Kost.
Die Lehrmeister, mit denen Peter Fankhauser arbeitete, bevor er sich in Stumm mit seinem Guat’z Essen seinen Traum von der Selbständigkeit erfüllte, lesen sich wie das Who is who der Topgastronomie. Vor ziemlich genau zehn Jahren entstand die Idee, ins Zillertal zurückzukehren und einen Permakulturgarten zu bewirtschaften. Der Koch verfolgte dabei zwei Ziele. Zum einen ging es darum, im Tal Gemüse anzubauen, und zwar auf möglichst naturnahe Weise. Zum anderen wollte er sich damit ein umfassendes Wissen über die Produkte aneignen. „Früher war es gang und gäbe, dass der Koch nur das Grüne, das Bekannte, aus einer Pflanze geschnitten hat. Wurzel, Stiel, Blätter wurden in der Regel entsorgt. Je besser ich aber eine Pflanze kenne, desto mehr kann ich aus ihr machen“, ist Fankhauser überzeugt. Und auch davon, dass sich die derzeit so aktuelle Nose-to-Tail-Philosophie auch bei Pflanzen umsetzen lässt.
Nose to Tail kommt aus der Fleischküche und bedeutet, dass nicht nur Filet und Tafelspitz in der Küche verwendet werden, sondern auch vermeintlich weniger edle Teile. Bei den Pflanzen spricht man in diesem Zusammenhang von Leaf to Root, also vom Blatt bis zur Wurzel. Konkret ist damit gemeint, dass man zum Beispiel vom Rhabarber auch die Blüten herausbackt, aus diversen Abschnitten und Schalen wunderbare Fonds zieht und bei den Radieschen nicht nur die scharfen Knollen verwendet, sondern auch aus den Blättern herrliche knackige Salate zaubert. Fankhauser geht sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn kommt es dabei nicht nur auf den Aspekt der Nachhaltigkeit an, er ist überzeugt, dass auch in den Schalen Inhaltsstoffe sind, die durchaus positiven Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Daher hält er es für sinnvoll, bestimmte Produkte ungeschält zu verwenden. Vorausgesetzt natürlich, es lässt sich aus kulinarischer Sicht vertreten. Und genau darum geht es dem Tüftler. Sein Gemüse so gut wie möglich zu kennen und zu wissen, was damit möglich ist. Topinambur ist so ein Kandidat: „Beim Topinambur ist es ganz wichtig, auch die Schale zu nutzen oder ihn überhaupt ungeschält zu verwenden, weil in der Schale nicht nur Aromastoffe, sondern auch andere gesunde Inhaltsstoffe konzentriert sind.“ Dadurch verliert etwa ein Topinamburpüree zwar seine schneeweiße Farbe und wird leicht gräulich, der kulinarische und gesundheitliche Gewinn wiegt das aber allemal auf.
Für die Permakultur als Art der Gartenbewirtschaftung hat sich Peter Fankhauser entschieden, weil es für ihn die natürlichste Art des Anbaus ist. Wie beim biologischen Landbau wird in der Permakultur zu 100 Prozent auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz verzichtet. Vielmehr werden organische Dünger und Mulch verwendet, um Wasser und Boden zu schonen. Vor allem der Boden spielt dabei eine zentrale Rolle. Ihn so natürlich wie möglich zu halten, ist eine der wesentlichen Säulen der Permakultur. Darüber hinaus geht es um Vielfalt. In Fankhausers Hügelbeeten neben dem Restaurant wachsen alte Sorten aus dem Fundus von Arche Noah, dem Netzwerk zur Erhaltung bedrohter Kulturpflanzen. „Überhaupt orientiert man sich ausschließlich am natürlichen Ökosystem und naturnahen Kreisläufen. Wir bauen das Gemüse in Mischkultur an. Dadurch liefern sich verschiedene Pflanzen unterschiedliche Nährstoffe, die sie benötigen“, erklärt der Gärtner und Koch seine Philosophie.
„Da kommt’s her“
Nicht jeder Küchenchef hat das Privileg, nur ein paar Meter vom Herd entfernt einen üppigen Gemüsegarten zu haben. Wer trotzdem mit Lebensmitteln und Zutaten nahe der Heimat kochen will, braucht starke Partner. Also Landwirte und Produzenten. Eine starke Partnerschaft bedeutet nicht nur eine solide Geschäftsbasis, sondern auch, dass man zu dieser Partnerschaft steht und sie kommuniziert.
Die Erwähnung der Lieferanten der Küche in der Speisekarte ist in Österreich ein heikles Thema. Jene Betriebe, bei denen diese Partnerschaften funktionieren und bei denen beide Beteiligten stolz auf die Beziehung sind, machen das längst. „Unser Fleisch kommt von X aus Y.“ Konkreter vielleicht „Braten vom schwarzen Alpenschwein“ oder „Schnitzel vom Längenfelder Milchkalb“. Die Herausforderung liegt eher in der flächendeckenden und verpflichtenden Herkunftsbezeichnung. Denn obwohl viele Leitbetriebe das bereits so handhaben, legt sich die Vertretung der Gastronomen, die Wirtschaftskammer, quer und argumentiert mit einem nicht zu stemmenden Kontroll- und Verwaltungsaufwand. Tirol ist dabei eine rühmliche Ausnahme. Hier fanden 2023 Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer zueinander und stellten das Projekt „Da kommt’s her“ auf die Beine. Es ist eine Initiative zur freiwilligen Auslobung der Herkunft auf Speise- und Menükarten. Inklusive eines Logos, das die Betriebe erkennbar macht, die sich entschieden haben, bei dem Projekt dabei zu sein. Der erwähnte Peter Fankhauser ist einer von ihnen. Andere Beispiele sind Peter Zittera vom Hoferwirt im Stubaital oder Gustav Jantscher. Letzterer ist leidenschaftlicher Jäger. Außerdem züchtet er seltene Hühnerrassen und Tauben. Bei ihm kommt nur auf den Teller, was er selbst erlegt oder gezüchtet hat. Während der Wintersaison im Tannenhof am Arlberg, den Rest vom Jahr steht Jantscher im Bergwiesenglück in See im Paznaun am Herd. Aus beiden Küchen schickt der Steirer das mit Abstand kreativste Wild-Menü Tirols. Mit durchaus außergewöhnlichen Gerichten: Vom Kahlwild (den weiblichen Rotwildstücken) verarbeitet er Herz, Zunge und Niere, vom Rehbock Filet und Hirn. Die Essenz vom Steinbock, die mit Schnitten von der Steinbock-Milz serviert wird, ist mittlerweile so etwas wie ein Paradegericht des Kochs.
Peter Zittera im Stubaital geht einen ähnlichen und doch anderen Weg. Zum Hoferwirt gehört auch eine Landwirtschaft. Klarerweise werden vorwiegend die eigenen Produkte in der Küche verwendet. Oder von befreundeten Höfen im Stubaital. Dass Zittera herausragend kochen kann, hat er schon mehrfach bewiesen.
Wer bei der Bestellung auf die Herkunft achtet, fördert kleine landwirtschaftliche Strukturen, das Handwerk, die Wertschöpfung in der Region und kann sich darauf verlassen, dass das Schnitzel oder der Braten nicht bereits eine Weltreise hinter sich hat. Slow Food, die globale Gewerkschaft für handwerkliche Lebensmittelproduzenten, kleine Landwirte und verantwortungsbewusste Genießer, bringt es auf den Punkt: Gut, sauber und fair.
Text und Fotos: Jürgen Schmücking