
Über viele Jahre galt Gold als Randfigur der Finanzwelt: ein ehrwürdiges, allerdings etwas aus der Zeit gefallenes Relikt, belächelt von Befürworter*innen effizienter Märkte. 2025 jedoch zeigt sich ein völlig neues Bild. Gold bricht ein Allzeithoch nach dem anderen, bewegt sich in Kursregionen, die noch vor wenigen Jahren als Fata Morgana erschienen, und gewinnt an relativer Stärke gegenüber nahezu allen großen Assetklassen. „Gold erreichte im Oktober 2025 bei über 4.380 US-Dollar je Unze ein neues Rekordhoch. Mit einem Plus von aktuell 58 Prozent in US-Dollar seit Jahresbeginn schlägt das Edelmetall alle übrigen Assetklassen. Auch auf Eurobasis steht bis dato ein sattes Plus von rund 41 Prozent zu Buche“, sagt Prok. Mag. Christian Prugger, Direktor Private Banking der Raiffeisen-Landesbank Tirol AG.
Gold rückt indes nicht nur preislich, sondern auch systemisch ins Zentrum globaler Kapitalströme, als Absicherung gegen geopolitische Risiken, Gegengewicht zu rekordhohen Schuldenbergen und vermeintlich neutrales Settlement-Asset in einer multipolaren Welt. In einer Phase, in der Vertrauen zur knappsten Ressource wird, wird das gelbe Metall zunehmend als dessen physische Verkörperung wahrgenommen. Die Autoren des renommierten „In Gold We Trust“-Reports sprechen dabei von einem möglichen Wendepunkt. Gold könnte, so ihre These, an den Beginn einer „goldenen Dekade“ treten – einer Phase, in der das Metall weit mehr ist als eine Krisenversicherung: nämlich ein strategischer Vermögenswert für eine neue wirtschaftliche Ära.
Faszination Gold
Um die gegenwärtige Goldrenaissance zu verstehen, lohnt ein Blick in die Geschichte. Keine andere materielle Ressource verbindet seit über 5.000 Jahren physische Eigenschaften, ökonomische Funktion und kulturelle Bedeutung so nahtlos miteinander wie Gold. Seine Unzerstörbarkeit, Teilbarkeit und begrenzte Verfügbarkeit machten es früh zum idealen Tausch- und Wertspeicher. Dass nahezu jeder Staat der Welt über Jahrhunderte hinweg Gold als Basis seines Währungssystems nutzte, erscheint unter diesem Blickwinkel weniger als Zufall denn als logische Konsequenz. Auch dass Gold schließlich zur „Krisenwährung“ wurde, kommt aus der Vergangenheit, als „wichtige Weltwährungen wie einst das britische Pfund oder auch der US-Dollar an den Goldpreis gekoppelt wurden“, sagt Mag. Stefan Nardin, Geschäftsleiter Private Banking Tirol und Südtirol bei der BTV VIER LÄNDER BANK.
Doch auch jenseits von Funktionalität spielt Psychologie eine Rolle. Gold steht für Beständigkeit und damit für genau das, was in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit besonders begehrt ist. Während (digitale) Währungen, Staatsanleihen oder Bankeinlagen letztlich stets das Versprechen einer Gegenpartei darstellen, ist Gold „endgültiges Geld“. Es verkörpert Wert, ohne Wert sein zu müssen. Diese symbolische Kraft erweist sich erneut als entscheidend. In einer Welt, die von geopolitischen Verwerfungen, Währungskonflikten und einer schleichenden Vertrauenskrise geprägt ist, greifen Anleger*innen wieder verstärkt zu einem Asset, das gerade wegen seiner vermeintlichen Tradiertheit seinen Reiz nie verloren hat. „Angst und Unsicherheit treiben Anleger*innen zu Gold, oft unabhängig von fundamentalen Daten. Herdenverhalten und mediale Berichterstattung verstärken Preisspitzen. Gold ist daher weniger eine ‚rationale Versicherung‘ und mehr ein psychologisch getriebener Sicherheitsanker, der in unsicheren Zeiten Vertrauen schafft. Aus ökonomischer Sicht sprechen jedoch das fehlende Ausfallrisiko, niedrige Realzinsen sowie der Diversifikationseffekt für Gold“, beschreibt Christian Karasek, Abteilungsleiter Private Banking der Tiroler Sparkasse. Das bestätigt auch Christoph Nöbl, Filialleiter der Hauptgeschäftsstelle Landeck der Volksbank Tirol: „Gold bleibt ein bevorzugter ‚sicherer Hafen‘ in Zeiten geopolitischer Unsicherheit, hoher Inflation und Marktvolatilität. Zentralbanken kaufen weiterhin massiv Gold, was die fundamentale Nachfrage stützt. Psychologische Faktoren spielen eine Rolle, aber die ökonomische Logik wie Werterhalt, geringe Korrelation zu Aktien und anderen Anlageklassen ist nach wie vor entscheidend.“
Die ökonomische Logik des Goldpreises
Oft wird Gold als mystisches Anlagegut dargestellt, als wäre sein Preis das Ergebnis von Emotionen und kollektiver Symbolik. Nicht nur der „In Gold We Trust“-Report entmystifiziert diese Sichtweise. Gold folgt denselben Regeln wie jedes andere ökonomische Gut: Angebot und Nachfrage. Der Unterschied zu Fiatwährungen könnte jedoch kaum größer sein. Während die Geldmenge der USA allein seit dem Jahr 2000 nahezu explodiert ist, wächst das globale Goldangebot nur um ein bis zwei Prozent pro Jahr. Diese asymmetrische Dynamik ist einer der Hauptgründe, warum Gold langfristig seinen realen Wert hält. Es schützt nicht vor Inflation im Sinne steigender Preise, sondern vor Währungsabwertung im Sinne schwindender Kaufkraft. Hinzu kommt eine Besonderheit: Fast das gesamte jemals geförderte Gold existiert heute noch. Gold wird nicht verbraucht. Das macht den Markt stabiler und berechenbarer als die meisten Rohstoffe, die starken konjunkturellen Schwankungen unterliegen.
Ein zentrales Argument für die strategische Bedeutung von Gold ist außerdem seine relative Performance gegenüber anderen Anlageklassen. Besonders aufschlussreich ist der Blick auf die sogenannte Dow/Gold-Ratio, also das Verhältnis zwischen dem Aktienindex Dow Jones und dem Goldpreis. Historisch bedeuteten starke Rückgänge dieser Ratio immer zweierlei: eine Phase stagnierender oder fallender Aktienkurse und gleichzeitig stark steigender Goldpreise. Solche Phasen traten etwa in den 1930er-, 1970er- und 2000er-Jahren auf. Sie alle waren geprägt von Rezessionen, Inflation oder strukturellen Marktverwerfungen. Die Ratio des Jahres 2025 deutet darauf hin, dass wir uns erneut in einer solchen Transformationsphase befinden.
Im Schatten struktureller Schulden
Staatsanleihen galten jahrzehntelang als sicherste aller Anlagen. Doch was passiert, wenn der Emittent, also die Staaten, strukturell überfordert wirkt? Allein die USA zahlen mittlerweile jährlich rund eine Billion Dollar an Zinsen. Damit übersteigen die Zinsausgaben sogar das Budget des Verteidigungsministeriums. Zugleich fällt die Zinsbelastung schneller, als das Wirtschaftswachstum steigt – ein klassischer Indikator für langfristig instabile Finanzarchitekturen. Gold verfügt über kein solches Risiko. Es verzinst sich zwar nicht, doch gerade in einem Umfeld negativer Realzinsen wird dieser vermeintliche Nachteil zum strukturellen Vorteil. Bemerkenswert indes ist die derzeitige Entkopplung zwischen Gold und anderen Rohstoffen, insbesondere Öl. Historisch laufen beide Güter häufig in Superzyklen parallel: Erst steigt Gold, dann folgen Energie- und Industriemetalle. Die Autoren des Goldreports deuten darauf hin, dass geopolitische Entwicklungen wie Chinas wachsende Kontrolle über strategische Rohstoffe den nächsten Superzyklus vorbereiten könnten. Gold wäre dabei der Vorläufer eines breiteren Rohstoffbooms.
Eine Wirtschaftswelt im Umbruch
Kaum ein Wirtschaftsbericht der vergangenen Jahre widmet geopolitischen Themen so viel Raum wie die aktuelle Ausgabe von „In Gold We Trust“. Die Begründung ist simpel: Die globale Finanzordnung befindet sich in einem Zustand fortschreitender Erosion. Der US-Dollar ist seit dem Zweiten Weltkrieg die dominante Weltwährung, doch dieser Status wird zunehmend herausgefordert. Staaten wie China, Russland, Saudi-Arabien und Brasilien suchen nach alternativen Handels- und Zahlungssystemen. Je mehr Reserven in anderen Währungen oder Rohstoffen gehalten werden, desto weniger kann der Dollar seine historische Funktion erfüllen, globale Krisen abzufedern.
Die BRICS-Gruppe arbeitet offen an einem multilateralen Weltwährungssystem. Ein zentrales Element: eine teilweise rohstoffunterlegte Abrechnungsstruktur. Gold spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Mehrere Staaten haben in den vergangenen Jahren beträchtliche Mengen physischer Goldreserven aufgebaut. Nicht nur aus taktischen Gründen, sondern auch als strategisches Werkzeug: Gold ist das einzige globale Reserveasset, das weder von der westlichen Finanzinfrastruktur kontrolliert noch sanktionierbar ist. Zudem gilt China mittlerweile als Lieferant strategischer Stabilität. Oder Instabilität. China kontrolliert inzwischen etwa 60 Prozent der globalen Förderung und rund 90 Prozent der Verarbeitung seltener Erden – ein geopolitisches Machtinstrument von enormem Gewicht. Dazu kommt eine wachsende Dominanz in der Solar- und Batteriewirtschaft, den zentralen Industrien der Energiewende. Eine Welt, die immer stärker von Technologien abhängig wird, ist automatisch auch von China abhängig. Und damit steigt auch der strategische Wert von Gold als politisch neutralem Asset.
Die Nachfrage nach Gold ist aktuell sowohl von Staatenseite als auch von privaten Anleger*innen getrieben. Viele Zentralbanken zählen aktuell zu den aktivsten Käuferinnen. Auch einige staatliche Vermögensfonds wie der aserbaidschanische SOFAZ haben ihre Bestände zuletzt weiter aufgestockt. Bei den Privatinvestor*innen zeigen sich die stärksten Zuwächse in Asien. Begünstigt durch neue regulatorische Erleichterungen erlebt der Markt in Indien einen ETF-Boom, in China steigt vor allem die Nachfrage nach Goldbarren und -münzen. Bemerkenswert ist außerdem die Trendwende im Westen: Seit der zweiten Jahreshälfte 2024 fließen wieder spürbar Gelder in Gold-ETFs. „Gold gilt als begrenzter Rohstoff und ist unabhängig von der Geldpolitik der Zentralbanken. Durch diese natürliche Knappheit führt eine höhere Nachfrage zu stärkeren Preisanstiegen. Da auch die Zentralbanken selbst einen Teil ihrer Reserven in Gold halten, ist die Bedeutung des gelben Edelmetalls in der Finanzwelt fest verankert. Die ersten beiden Plätze belegen hier die US-Notenbank Fed und die deutsche Bundesbank mit einem Goldanteil von ca. 75 Prozent gemessen am Gesamtportfolio“, so Nardin.
In Gold we trust?
Gold ist nicht nur ein Krisenbarometer, sondern auch ein wirtschaftlicher Seismograph. Seine gegenwärtige Stärke sendet zwei Botschaften: Die Welt befindet sich in einer geldpolitischen und geopolitischen Übergangsphase, deren Ausgang offen ist, deren Risiken aber wachsen. Und Gold wird als neutraler, schuldfreier Vermögenswert wiederentdeckt, der sowohl institutionell als auch privat eine Renaissance erlebt. Für Anleger*innen bedeutet dies zweierlei: Absicherung wird wichtiger, aber auch Chance. Wer Gold lediglich als Notfallreserve betrachtet, unterschätzt möglicherweise sein Potenzial in einem Umfeld politisch gelenkter Märkte und struktureller Schulden. Ob nach der beeindruckenden Goldrally ein Einstieg noch lohnt? Christian Prugger: „Die strukturellen Treiber waren und sind der von Donald Trump losgetretene Handelskrieg, die regen Zukäufe der Notenbanken, anhaltende Inflationsängste und Sorgen um die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen. In den letzten Wochen wurde der Aufwärtstrend zudem von den wieder verstärkten Zinssenkungserwartungen in den USA unterstützt. Mit Blick auf 2026 sehen wir ein Anhalten dieser Faktoren und damit den Aufwärtstrend des Edelmetalls weiterhin intakt. Auch wenn der Anstieg deutlich verhaltener als im Jahr 2025 ausfallen sollte.“
Unterm Strich könnte Gold jedoch tatsächlich an den Beginn eines neuen monetären Kapitels gerückt sein. Nicht durch politische Entscheidung, sondern durch Marktkräfte: durch Vertrauen, das schwindet, und Stabilität, die gesucht wird. In dieser Gemengelage erscheint Gold als das, was es immer war:
ein Anker in unruhigen Zeiten.
Text: Marina Bernardi

