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Surfen auf der Schockwelle

28.6.2021

Es gibt eine gute und es gibt eine schlechte Nachricht zum Wirtschaftsstandort Tirol. Zuerst die schlechte: Tirol wurde von der Corona-Pandemie mit der Kraft eines Vorschlaghammers getroffen. Bedingt durch das vergleichsweise überbordende Gewicht des Dienstleistungssektors stürzte der Umstand, dass Dienstleistungen einige Zeit weder angeboten noch nachgefragt werden durften, das Wirtschaftsland in ein tiefes Loch. Was Tirol bislang stets mit kleinen blauen Augen durch Krisen manövrieren ließ, wurde in dieser Ausnahmekrise zum Verhängnis. Als vor über zehn Jahren beispielsweise die Finanzkrise die produzierende und exportierende Wirtschaftswelt schwer erschütterte, konnte Tirol mehr oder weniger leichtfüßig im Takt des Tourismuswalzers durch die weltweiten Wirren tanzen. 

Zusammen mit der Seilbahnbranche ist der Tourismus für rund 18 Prozent der Wertschöpfung zuständig. Wird der Kundendienstleistungssektor dazugenommen, beläuft sich der Anteil dieses – ganz direkt von und mit seinen Kunden wirtschaftenden – Bereichs bei 40 Prozent. In keinem anderen Bundesland Österreichs ist die Konzentration so ausgeprägt. Und kein anderes Bundesland wurde derart schwer von den Auswirkungen der Krise getroffen. Lag der Österreichschnitt bei minus 7,5 Prozent, so ist die Wirtschaftsleistung in Tirol im Jahr 2020 um zehn Prozent zurückgegangen. 

Stefan Garbislander ist uch Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik und Strategie in der Wirtschaftskammer Tirol. Und er ist Volkswirt. Durch diese, die volkswirtschaftliche Brille betrachtet, ist die Coronakrise eine urspannende Geschichte. „Es ist die spannendste Geschichte überhaupt“, sagt Garbislander und erklärt: „Die meisten Krisen betreffen entweder die Angebots- oder die Nachfrageseite. Das jetzt ist eine simultane Krise, sie betrifft sowohl Angebot als auch Nachfrage und das ist außergewöhnlich. Darum sind die Einbrüche so massiv.“ Die Einbrüche und die Umbrüche. Der massive exogene Schock auf die Volks- und Weltwirtschaften kann gut mit dem Billardspiel verglichen werden. Eine Kugel stößt die andere an und das ganze System kommt in Bewegung. Überall. Auch auf dem Standort Tirol. In dieser Dynamik ist alles möglich. „Wenn am Ende aus den zentralen Lehren der Krise gelernt wird beziehungsweise die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden, dann hat sie – bei allem Leid für Menschen und Unternehmen – etwas Positives. Es könnte eine neue Gründerzeit entstehen, mit neuen Konzepten, jungen Leuten, die Chancen nützen“, sagt Garbislander. Das ist die gute Nachricht, wenn es klappt, den Standort Tirol stärker zu machen, krisenfester, resilienter. 


Widerstandskraft

Der Begriff Resilienz wabert schon seit einiger Zeit durch die Welt der ökonomischen Theorien und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen. Keine politische Ansage kommt ohne aus. Das Wort selbst leitet sich vom lateinischen resilire ab und wird etwa mit zurückprallen übersetzt. Physikalische Materialforscher verbinden Resilienz mit der Eigenschaft eines Materials, nach einer extern herbeigeführten Deformation wieder die ursprüngliche Form einnehmen zu können. Für die ökonomischen Schocks im Ausmaß der Pandemie greift diese Definitionsanleihe zu kurz, weil es ein Zurück wohl nicht geben wird. Stimmiger scheint in dem Zusammenhang der Zugang der Psychologie, in der Resilienz im Zusammenhang mit einschneidenden traumatischen Erlebnissen von Menschen verwendet wird. Eine Rückkehr in die Zeit vor dem Trauma ist nicht möglich, sondern es geht darum, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, und das mit möglichst hoher Lebensqualität. So können die Resilienz-Herausforderungen an den Standort Tirol eher definiert werden: Es geht darum, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, und das mit möglichst hoher Standortqualität. 

Der Tourismus, der sich als Achillesferse der Tiroler Wirtschaft gezeigt hat, ist schon mittendrin im Anpassen an die neuen Verhältnisse. Nachhaltigkeit, ein Begriff, der ebenso zum Standardvokabular zukunftsorientierter Wirtschaftsweisheiten zählt, ist das große Thema aller und auch dieser Branche. Schon vor Corona haben sich zahlreiche Tourismusunternehmen der Nachhaltigkeit verschrieben. Seilbahnunternehmen arbeiten intensiv an ihrer CO2-Neutralität beziehungsweise Klimafreundlichkeit und in den letzten Jahren wurden aus Außenseitern Vorreiter. Die Coronakrise machte diesen so großen wie in äußerst zähen Prozessen umzusetzenden Zielen Feuer unterm Hintern, doch hatte die Krise eben auch deutlich gemacht, dass eine touristische Monokultur abträglich wäre für die Resilienz des Standortes. „Die Krise hat gezeigt, wie wichtig das produzierende Gewerbe und die Industrie in Tirol sind. Wenn man den Standort in Zukunft wettbewerbsfähig halten möchte, muss auch der produzierende Bereich gepusht werden“, weist Stefan Garbislander darauf hin, dass es die produzierenden Unternehmen sowie die Bauwirtschaft waren, die Tirol vor einem noch härteren Absturz bewahrt haben. Der Branchenmix eines Standortes trägt ebenso zur Resilienz bei wie ein guter Mix bezüglich der Betriebsgrößen. Spätestens hier ist die Politik gefragt, all das nicht dem Zufall zu überlassen, sondern mit der Aussicht auf eine spannende Mischung in guter Balance an den richtigen Stellhebeln zu drehen.

Text: Alexandra Keller

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