Der Forschungsstandort Tirol hat einen großen Vorteil: schlaue, motivierte Leute, die gerne in dieser lebenswerten Region wohnen bzw. bleiben wollen, findet Michael Kraxner. Diese müsse man gewinnen, sie gut ausbilden und gut behandeln, um Know-how zu generieren und die Wertschöpfung im Land zu halten.
Michael Kraxner: Ich bin der tiefen Überzeugung, dass an dem Standort, wo wir sind, aufgrund mangelnder Rohstoffe der Wettbewerb der Zukunft maßgeblich durch Innovation zu gewinnen ist. Das heißt, es braucht viele und sehr gut gebildete Leute, innovative Geschäftsmodelle und Produkte mit hoher Wertschöpfung am Standort, um folgendermaßen einen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Ich bin auch der Überzeugung, dass in nicht allzu ferner Zukunft hochtechnologisierte Produktionen und deren Produkte überall auf der Welt ähnlich viel kosten werden. Wenn sehr viel digitalisiert und automatisiert wird, heißt das am Ende auch, dass wenig Menschen reine Produktionstätigkeiten zu verrichten haben. Dies bedeutet auch, dass es viele Experten brauchen wird, die solche Maschinen und Prozesse konzipieren, programmieren und installieren, um sie zu gewissen Dienst- und Produktionsleistungen zu steuern. Es wird der Wechsel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmerangebot noch viel dramatischer werden: Wie bekomme ich die passenden Expertinnen und Experten an den für mich richtigen Ort?
Es gibt Steckenpferde in Tirol, wo man in der absoluten Spitzenklasse vertreten ist. Die Quantentechnologie in Tirol ist weltführend. Weiters haben wir sehr gute Forschung in der Medizin, besonders stark vertreten durch die Christian-Doppler-Labore. Auch Chemie, Mechatronik und die Umwelttechnologie dürfen nicht vergessen werden. Wo Tirol auch sehr gut mithalten kann, es aber zu wenig nach außen getragen wird, ist nachhaltiges Bauen und Wohnen, vor allem im Bereich der Energieversorgung à la Wärmepumpen- und der Passivhaustechnologie. Die Passivhaustechnologie wird weltweit als Höchstleistung und Goldstandard im Bauen bezeichnet, von uns in Tirol aber leider zu wenig vermarktet.
Als Hochschule der angewandten und lösungsorientierten Forschung legen wir den Fokus sehr stark auf die Transformation von Grundlagenforschung in die Anwendung. Wir brauchen die Grundlagenwissenschaft, um Erkenntnisse daraus zu ziehen, die dann über Anwendungsprojekte der Wirtschaft und Gesellschaft zugänglich gemacht werden können. Man kann auch nicht sagen, welche Forschung besser ist, denn das eine kann nicht ohne das andere existieren.
Diese Frage möchte ich gerne mit einem Gegenargument revidieren. Wir am MCI haben null Euro Grundfinanzierung für Forschung. Wir machen für unsere Partner Projekte, erarbeiten hierbei für diverse Unternehmen Lösungskonzepte und versuchen damit Beschäftigung zu sichern und eine Wertschöpfungssteigerung zu erzielen. Unsere Projektpartner können die Ergebnisse dann direkt zur Umsetzung bringen und haben somit wieder in die eigene Wertschöpfung investiert. Forschung kostet somit nicht nur Geld, sondern bringt auch welches, außerdem Beschäftigungssicherheit und Standortgarantie.
Ja, in vielen Bereichen. Die Forschungsaufträge sind nicht eingebrochen, sondern im Gegenteil deutlich gestiegen. Wir haben in manchen Bereichen reagiert und Forschungen ganz speziell betreffend die COVID-Vireninaktivierung vorangetrieben. Beispielsweise wurde eine Tochterfirma gegründet, die sich einerseits mit der Luftreinhaltung und andererseits mit der Oberflächendesinfektion, im Wesentlichen für Spezialanwendungen in Krankenhäusern und bei Pflege- und Heilbedarfen, beschäftigt. Der Fokus liegt hier auf dem Schutz von sehr vulnerablen Gruppen. Wir haben auch gemeinsam mit Gemeinden und dem Land Tirol im Umgang mit Corona und der Akzeptanz von Schutzmaßnahmen geforscht. Hier lag der Fokus auf der Bevölkerung, wie die Menschen auf welche Maßnahmen reagieren und wie man bestimmte Maßnahmen als gelindestes Mittel am besten umsetzen kann.
Ich freue mich auf die Zukunft, weil sie aktuell so viele Chancen bietet, wie selten eine Generation zuvor erleben durfte. In diesem Sinne muss man sich permanent neu erfinden. Das Schlimmste, was einer Gesellschaft passieren kann, ist Stillstand. Stillstand bedeutet Rückschritt. Der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Tirol hat einen bedeutenden Vorteil, der gegenüber vielen anderen überwiegt: Viele Ausländer kommen neben dem Urlaubsvergnügen auch gerne und freiwillig hierher zum Arbeiten oder Studieren. Leider gehen zu viele wieder zurück in ihr Heimatland oder an einen anderen Standort. Wir müssen das Halten und Integrieren von Fachkräften strukturierter betreiben, um den Vorteil unseres attraktiven Standorts für ein Brain-Gain zu nutzen, um damit Know-how, Innovation und Wertschöpfung im Land zu halten und ausbauen zu können.
Interview: Larissa Riedler
Fotos: Andreas Friedle