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Zukunft

Neuartige Innovation

19.6.2023

eco.nova: Eines Ihrer wissenschaftlichen Steckenpferde ist Open Innovation. Worum geht es dabei und wie hat dieser Ansatz die Art und Weise zu innovieren verändert?

Johann Füller: Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren damit, wie man zu Innovationen kommen kann. Als ich um das Jahr 2000 herum damit begonnen habe, hat Innovation noch meist im geschlossenen, unternehmensinternen Raum – häufig die Entwicklungsabteilung in Zusammenarbeit mit dem Marketing und der Geschäftsführung – stattgefunden. Man war bestrebt, keine Informationen nach außen zu geben, weil der Wettbewerb davon Wind bekommen könnte. Um 2003 trat eine sukzessive Öffnung ein. Es war egal, woher die gute Idee gekommen ist, ob von Mitarbeiter*innen, von Kund*innen oder von außen. Es macht Sinn, nicht alles verbergen zu wollen, sondern gemeinsam mit anderen zu innovieren, weil man in den eigenen, geschlossenen Zirkeln gar nicht so vieles wissen kann. Es ist schade um externes Wissen, das man nicht anzapft. Es geht letztlich nicht darum, wer die gute Idee hat, sondern wie man bestmöglich zu einer konkreten Lösung kommt.


Die Öffnung des Innovationsprozesses, der Abschied vom Köcheln im eigenen Sud, hat also vor rund 20 Jahren eingesetzt. Wie gut hat sich diese Nutzbarmachung von Schwarmintelligenz im Innovationsprozess bewährt?

Es hat vom ersten Auftreten der Open Innovation 2003 weg ziemlich lange gedauert, bis man sich in der Wirtschaft Gedanken darüber gemacht hat, wie man Unternehmen für Innovation und die Kooperation mit Universitäten öffnen sowie Mitarbeiter*innen und Kund*innen dazu bewegen kann, daran mitzuwirken. Mittlerweile ist die Kooperation unterschiedlicher Akteure gang und gäbe, es haben sich ganze Innovationsökosysteme entwickelt, in denen gemeinsam an konkreten Themen gearbeitet wird. Das ist ein dynamischer, organisch je nach Bedarf wachsender oder schrumpfender Prozess. Das gelingt dem einen besser, dem anderen schlechter, aber grundsätzlich stehen die Vorteile dieser Form der Innovation heute außer Streit. Mittlerweile gibt es mehrere Denkweisen, Werkzeuge und Methoden, um diese Art der Innovation zu organisieren. Oft gibt es einen Community- oder Innovations-Manager, der sich hauptsächlich darum bemüht, die Kontakte und Kooperationsmöglichkeiten außerhalb des Unternehmens zu pflegen. Die Diskussion geht heutzutage eher in die Richtung, inwieweit man zu Innovationszwecken mit Start-ups und dergleichen kooperieren sollte, Innovation outsourced und weniger darum, ob man sich nun öffnet oder nicht. Über diese Stufe sind wir hinweg.


Die Frage, ob man sich denn nun für Innovation nach außen öffnen soll, ist also bereits besprochen?

Ja. Es stellt sich heute eher die Frage, wie, in welchem Ausmaß und mit wem man das macht.


In Tirol gibt es viele Klein- und Mittelbetriebe. Ist es für diese genauso sinnvoll, im Innovationsprozess vermehrt nach Draußen zu schauen?

Auf alle Fälle. Viele große Unternehmen haben sich natürlich frühzeitig mit dem Thema auseinandergesetzt, aber gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen, die gar nicht alle Kompetenzen in ihren Reihen haben können und nicht die notwendigen Kapazitäten zur Auseinandersetzung mit neuen Themen haben, ist es besonders wichtig, sich gerade für die Innovation nach geeigneten Partnern umzusehen.


Braucht Open Innovation eine besonders offene Unternehmenskultur?

Es ist wichtig, dass man nicht versucht, immer alles selbst im Alleingang zu lösen. Dafür muss man auch bereit sein, sich die eigenen Defizite und Schwächen einzugestehen. Open Innovation schafft eine Win-Win-Situation. Gemeinsam kann man bessere Lösungen zustande bringen als allein. Man versteht seine Kund*innen und Lieferant*innen dabei als Partner*innen, vielleicht sogar Mitarbeiter*innen auf Zeit.


Bei Open Innovation kann eine große Menge an Daten anfallen. Braucht es im Unternehmen jemanden, der das strukturiert in geordnete Bahnen lenken kann, um die Daten für die Innovation nutzbar zu machen?

Daten sind heute ganz wichtig. Aufgrund spezifischer Interaktionen mit einer großen Menge an Menschen – häufig über Social Media oder Hackathons – kann eine große Datenmenge anfallen, deren manuelle Auswertung zur Überforderung führen würde. Es braucht also entsprechende Datenanalyse-Tools, die auch Text analysieren können, um dieses Wissen aufzubereiten und nutzbar zu machen. Heutzutage sind Kenntnisse in Data Analytics bzw. Data Science in der Arbeitswelt sehr wichtig. Kleine oder mittelständische Unternehmen sollten darauf achten, dass das auch im Recruiting berücksichtigt wird.


Die Künstliche Intelligenz (KI) hat unter anderem mit ChatGPT für Furore gesorgt. Da scheint eine große Dynamik entstanden zu sein. Lässt sich KI gut mit Open Innovation vereinbaren oder muss man das getrennt voneinander sehen?

Eigentlich wird gerade die nächste Ära des Innovierens eingeläutet. Man greift nicht mehr nur auf das Wissen und die Fähigkeiten von Menschen zurück, sondern Maschinen sind in der Lage, Ideen oder Konzepte zu generieren, Designs zu variieren und Trends zu erkennen. KI kann mittlerweile kreativ sein und gute von schlechten Ideen unterscheiden. In den letzten Monaten ist mir so richtig bewusst geworden, dass es fantastische neue Möglichkeiten gibt, die man erst erproben muss, um diese Werkzeuge im Innovationsprozess nutzen zu können.


Ergänzt die KI den Innovator zukünftig oder ersetzt sie ihn sogar ein Stück weit, wie verschiedentlich befürchtet wird?

Die Diskussion, ob es den Menschen noch brauchen wird oder nicht und ob die KI in der Lage ist, genuin Neues hervorzubringen, wird schon länger geführt. Im Moment ist es so – und das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern –, dass Unternehmen von Menschen geführt werden, die Entscheidungen treffen und Lösungen für Menschen zur Verfügung stellen. Der Mensch ist nicht völlig ersetzbar. Die KI ist eine sehr gute Ergänzung und Arbeitserleichterung, kann aber auch dazu führen, dass Tätigkeiten, die früher von Menschen gemacht wurden, zukünftig der Maschine überlassen werden. Das ist heutzutage, wo überall händeringend nach Mitarbeiter*innen gesucht wird, nicht das Schlechteste. Wenn wir in Zukunft keine Roboter oder sonstigen Helferlein haben, werden wir die Herausforderungen der Zukunft wahrscheinlich nicht bewältigen können.


Kann denn die KI aus Ihrer Sicht autonom Neues hervorbringen?

Die KI ist durchaus in der Lage, neuartige, innovative Lösungen hervorzubringen. Sie wurde aber zuvor mit menschengemachten Lösungen, Problemstellungen und Daten gefüttert. Die Voraussetzung künstlicher Intelligenz ist die Vernetzung aller Informationen, die Menschen jemals produziert haben. In Patentdatenbanken sind beispielsweise alle Patente zu finden, Bücher sind mittlerweile digitalisiert, die KI hat auf alles Zugriff, was im Netz öffentlich geschrieben wird. Das ist wie ein allwissender Mensch. Aus diesen Informationen kann durch Kombination mittels Algorithmen Neues entstehen. Ob das besser sein wird als das, was Menschen erfunden haben, ist fast schon eine philosophische Frage.


Das dürfte sich in nicht allzu ferner Zukunft herausstellen. Welcher Neigungsgruppe sind Sie in der Frage zuzurechnen, ob KI menschliches Wissen bereits transzendiert hat?

Das ist eine schwierige Frage, deren Antwort auf die Perspektive ankommt. Man kann sich bereits ein Musikstück generieren lassen, das sowohl nach Beastie Boys und Beethoven klingt. Es gibt KI, welche jederzeit neue Musikstücke schreiben und in Windeseile erzeugen können. Die KI kann auch neue Landschaftsbilder im Stil von van Gogh herstellen. Aber ob KI tatsächlich aus sich heraus neue Kunststile hervorbringen wird können, ist noch offen. Mit Blick auf die steigende Geschwindigkeit und Qualität gehe ich davon aus, dass es irgendwann so sein wird.


Führt KI zu einer Krise der Wissenschaft, wenn man sich zu sehr auf Maschinencontent verlässt?

Es sind alle im universitären Raum gefordert, sich mit dem Thema zu befassen. Ich setzte mich seit fünf, sechs Jahren intensiv mit der KI auseinander. Die Frage, ob es den Forscher noch braucht, wenn alles von der KI erledigt wird, stellt sich tatsächlich. Wenn wir nicht irgendwann von den Maschinen beherrscht werden wollen, werden Forscher*innen aber nicht überflüssig werden. Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie wir mit den Herausforderungen der ungebremsten KI-Entwicklung – Manipulationsmöglichkeiten durch Deepfakes etc. – kollektiv umgehen wollen. Da gibt es sehr viel Neuland, mit dem man sich wissenschaftlich auseinandersetzen muss.


Ist denn das wissenschaftliche Ethos so stark, dass computergenerierte Inhalte – ähnlich wie Zitate – ausnahmslos kenntlich gemacht werden?

Das Ethos gebietet, dass das erkenntlich gemacht werden muss. Es stellt sich aber die Frage, ob KI zukünftig nicht quasi eigenständig wissenschaftliche Fachartikel publiziert. Das ist im Moment noch nicht der Fall. Dass man als Forscher Quellen, Zitate und dergleichen ganz genau angibt, sollte ohnehin selbstverständlich sein.


Müssen wir uns als Gesellschaft gegen die vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten durch immer mächtigere Künstliche Intelligenzen wappnen?

Auf jeden Fall. Es wird immer Leute geben, die diese Technologie zu Manipulationszwecken einsetzen wollen, etwa in autoritären Systemen. Umso wichtiger ist es, eine Gegenoffensive zu starten, die Konsument*innen aufzuklären und kritikfähig zu machen. Es wäre außerdem klug, diese Entwicklungen in Europa nicht wieder zu verschlafen und nicht allein Start-ups aus dem Silicon Valley oder dem asiatischen Raum zu überlassen, sondern einen rechtsstaatskonformen Umgang mit der KI vorzugeben.


Hat die Erfindung der KI als „Erfindungsmaschine“ bereits stattgefunden?

Es gibt in der Geschichte zahlreiche Vordenker, die bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts beschrieben haben, dass so etwas theoretisch möglich wäre. Der Unterschied zu damals ist, dass heute die dafür notwendige Rechenleistung zur Verfügung steht. KI kann heute nicht mehr nur für spezifische Anwendungen genutzt werden, sondern ganz generalisiert. Dadurch beginnt eine komplett neue Ära. Seit fünf Jahren habe ich mein Forschungsfeld darauf ausgerichtet, wie KI die Innovation verändert oder womöglich sogar revolutioniert. Mittlerweile gibt es bei uns Doktorand*innen, die neben BWL zum Beispiel Mathematik oder Informatik studiert haben. Diese Kompetenzen helfen uns dabei, der KI wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Wir haben auf das richtige Pferd gesetzt.


Interview: Marian Kröll

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