Wie sieht die perfekte grüne Zukunft aus? Was bedeutet eine nachhaltige Zukunft für Sie und welche Begriffe kommen Ihnen bei dieser Frage in den Sinn? Ihr persönliches Zukunftsbild kennen wir natürlich nicht. Nimmt man aber die vielen Zukunftskonferenzen zur Hand, die jedes Jahr in Österreich stattfinden, so erhält man ein recht klares Bild davon, wie sich große Teile unserer Gesellschaft und Wirtschaft eine nachhaltige Zukunft vorstellen. Diese Vorstellung reicht vom ökologischen Bauen über regenerative Energiesysteme bis hin zu vernetzten Mobilitätssystemen und elektrischen Autos. Das alles ist gut und wichtig. Doch leider wird der wesentlichste Faktor meist vergessen: der Mensch. Unsere Zukunftsvisionen drehen sich stets um eine hoch technisierte Welt. Eine Welt, in der sich alles geändert hat. Alles außer wir Menschen. Wir Menschen sind die Gleichen geblieben. Deshalb sprechen wir ständig von zukunftsfähigen Technologien und fast nie von zukunftsfähigen Menschen oder darüber, wie eine zukunftsfähige Kultur aussieht. Da stellt sich allerdings die Frage, ob eine nachhaltige Welt so überhaupt entstehen kann, und wenn ja, ob sie Bestand haben würde.
Nachhaltigkeit braucht eine Seele
Man kann nun zu Recht entgegnen, dass diesem Problem über den Bereich „Soziales“ im neuen ESG-Regulatorium Rechnung getragen wird. Die zuletzt in Kraft getretenen Environmental-Social-Governance-Standards der EU sind ein wichtiger Fortschritt, um Organisationen in ihren Nachhaltigkeitsbemühungen zu bewerten und Maßnahmen zu verordnen. Doch sie bergen wie viele andere Regulatorien die Gefahr, dass ein gesellschaftlich hochrelevantes Thema rein auf Zahlen reduziert wird. Denn Zahlen können manipuliert werden. Denken wir nur an unsere CO2-Zertifikate und die vielen Schlupflöcher, die sie bei ihrer Einführung geboten haben und teilweise immer noch bieten. Die neuen ESG-Richtlinien weisen uns in eine gute Richtung, doch allein werden sie es nicht vermögen, etwas Großes zu bewegen. Dafür braucht es Menschen, die Nachhaltigkeit nicht nur verwalten, sondern mit Überzeugung leben – in Organisationen wie auch in der Gesellschaft. Wenn unsere Ziele ausschließlich auf Zahlen basieren, werden sie in den meisten Fällen nur so weit reichen, bis die minimal notwendigen Werte erreicht wurden. Unsere ökologischen und sozialen Herausforderungen verlangen aber eher nach einem Maximum an Engagement! Und dieses Maximum erreichen wir nur, indem wir der Nachhaltigkeit eine Seele geben.
„Seele“ bedeutet in diesem Kontext, dass wir die Natur und ihre Lebewesen vor allem deshalb schützen, weil wir ihren intrinsischen Wert erkannt haben, und nicht, weil es ein Regulatorium verlangt; dass wir soziale Standards und faire Arbeitsbedingungen deshalb einführen, weil uns an unseren Mitmenschen etwas liegt, und nicht, weil es sich gut vermarkten lässt; und es bedeutet auch, dass ethische Unternehmensführung im ganzen Unternehmen etabliert wird und nicht nur als Zuständigkeitsbereich der ESG-Manager*innen. Wenn wir dem Thema Nachhaltigkeit also eine Seele geben wollen, dann haben wir noch allerhand zu tun. Denn – so ehrlich muss man sein – in vielen Organisationen werden die genannten Punkte noch unzureichend gelebt, und zwar auch in jenen, die die „Mindestpunktezahl“ bereits erreicht haben.
Innere Entwicklungsziele
Weil das Wörtchen Seele für viele zu pathetisch klingt, verwendet die Nachhaltigkeitsgemeinde ein anderes Wording. Man spricht von einer inneren Dimension der Nachhaltigkeit und von inneren Entwicklungszielen. Das bekannteste Framework sind die Inner Development Goals, kurz IDGs. Diese mittlerweile globale Bewegung ist 2019 in Schweden gestartet, um die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) über den Weg der menschlichen Entwicklung zu unterstützen. Kurz gesagt geht es darum, jene inneren Fähigkeiten zu entwickeln, die benötigt werden, um eine nachhaltige Zukunft im Außen voranzubringen. Als innere Fähigkeiten werden dabei Skills wie Selbstreflexion, emotionale Kompetenz, Achtsamkeit oder Sinnstiftung beschrieben.
Lassen Sie uns den Zusammenhang von innerer und äußerer Entwicklung über ein Beispiel kurz verdeutlichen. Wir hatten einmal mit einem Teamleiter zu tun, der abteilungsübergreifend ein System für mehr Mitbestimmung einführen wollte. Dafür brauchte er das Einverständnis seines Chefs und dieser sperrte sich. Besagter Chef war sehr sozial und ein relativ offener Typ, weshalb der Teamleiter nicht verstehen konnte, wo das Problem liegt. Im Teamcoaching stellte sich heraus, dass er eine regelrechte Angst vor Veränderung in sich trägt. Der Chef musste in jungen Jahren mit seinen Eltern immer wieder den Wohnort wechseln und sich alle paar Jahre an einem neuen Ort einfinden. Das führte dazu, dass er grundlegende Veränderungen als etwas zutiefst Negatives empfand. Als aufgeschlossener und offener Mensch konnte er dieses Thema schließlich über innere Arbeit lösen und dem Mitbestimmungssystem später seinen Segen geben. Hätte man ihm die neuen Standards nur per Regulatorium verordnet, hätte er sie umsetzen müssen, allerdings ohne dahinterzustehen. Und das sieht am Papier zwar gut aus, hat aber real oft keinen Nutzen. Denn für Mitbestimmung braucht es eine entsprechende Unternehmenskultur und die lässt sich nicht einfach vorschreiben. Regulatorien weisen uns den Weg, doch sie brauchen unsere Überzeugung, um ihre Wirkung voll entfalten zu können.
Achtsamkeit als Future Skill
Nicht nur Regularien brauchen unsere Überzeugung, auch der Nutzen von innerer Entwicklung muss klar sein. So hat eine Studie der Uni Wien kürzlich herausgefunden, dass Praktiken wie Yoga, Meditation oder Waldspaziergänge vor allem dann transformativ wirken, wenn sie nicht als langweilig oder sinnfrei empfunden werden. Deshalb lassen Sie uns den Sinn innerer Arbeit am Beispiel von Achtsamkeitspraktiken einmal darstellen: Achtsamkeitspraktiken sind meist kurze, meditative Übungen, die in den Alltag integriert werden können. Vereinfacht dargestellt helfen sie uns, in den Moment zu kommen und unsere Gedanken urteilsfrei anzunehmen und loszulassen. Dadurch erlangen wir Klarheit und innere Ruhe, unser Stresslevel sinkt, unsere Lern- und Entscheidungsfähigkeit ist gesteigert und wir schlafen besser. Auch die emotionale Resilienz und Empathiefähigkeit sind erhöht und dies führt nachweislich zu einer positiveren Grundeinstellung gegenüber dem Leben. Es ist also kein Wunder, dass in Zeiten von VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity & Ambiguity) immer mehr Organisationen auf Achtsamkeit setzen.
Doch nicht nur die Wirtschaft, auch die Nachhaltigkeit entdeckt sie schön langsam als Future Skill. So hat man in der Forschung zu „Ecological Mindfulness“ herausgefunden, dass Achtsamkeit intrinsische Werthaltungen stärkt und uns hilft, mit alten und schädlichen Gewohnheiten zu brechen. Menschen, die regelmäßig meditieren, verhalten sich sozialer und haben auch eine erhöhte globale Identität. Das heißt, sie fühlen sich mit der Welt und ihren Mitmenschen stärker verbunden und handeln dadurch sozialer und umweltfreundlicher als Menschen mit geringer globaler Identität. Dies und vieles mehr hat dazu geführt, dass Achtsamkeit heute nicht mehr nur als persönliches Wohlfühl-Tool gesehen wird, sondern als Schlüsselkompetenz für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
Die Kunst des Wandels
Nachhaltige Veränderungsprozesse funktionieren unserer Erfahrung nach am besten, wenn äußere Maßnahmen und innere Entwicklung aufeinander abgestimmt sind. Den neuen Technologien trauen wir jede rasante Entwicklung zu, den Menschen offenbar nicht. Das ist ein Fehler und den müssen wir beheben. Der Mensch ist keine Konstante. Wenn wir unsere Gesellschaft und unsere Organisationen in eine lebenswerte Zukunft führen wollen, müssen wir die menschliche Entwicklung viel stärker fördern, als das heute der Fall ist. Aber Achtung! Wir meinen hier nicht die klassische Persönlichkeitsentwicklung, die oft nur darauf abzielt, Menschen erfolgreicher und produktiver zu machen. Wir meinen eine innere Entwicklung, die sich auf das Individuum UND die Gesellschaft als Ganzes positiv auswirkt.
Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht regenerative Energiesysteme, eine vernetzte Mobilität und ökologisches Bauen. Damit dies aber gelingen kann, braucht sie zuallererst einmal Menschen, die nicht nur an sich, ihre Familie, ihre Firma oder Partei denken, sondern eine breitere Perspektive einnehmen können. Menschen, die sich mit ihrer Region genauso verbunden fühlen wie mit dem Planeten. Menschen, die verstehen, dass in einem globalen Wirtschaftssystem alles miteinander verbunden ist und unsere Handlungen hier und heute eine Auswirkung haben auf das Morgen in anderen Ländern. Und dass diese Auswirkungen immer wieder auf uns zurückkommen, auf positive genauso wie auf negative Art und Weise. Eine Gesellschaft mit einem derart integralen Verständnis kann unserer Ansicht nach als zukunftsfähig erachtet werden. Und solch eine Gesellschaft erreichen wir nur, indem wir uns endlich unserer inneren Entwicklung annehmen.
Text: Stefan Stockinger & Julia Buchebner
Foto: Ninaromana - Fine Design
________________
Buchtipp
Die Kunst des Wandels
Kohlhammer Sachbuch Verlag
228 Seiten, EUR 25,70
Vom Klimawandel bis zur sozialen Ungerechtigkeit – unsere Welt steht vor unzähligen Krisen. Die Lösungsansätze konzentrieren sich dabei vorrangig auf neue Technologien und Gesetze. Doch das reicht nicht aus. Julia Buchebner und Stefan Stockinger zeigen anhand ihres sechsteiligen Kompetenzmodells einen möglichen Ansatz, wie die menschliche Revolution erreicht werden kann.