Ursprünglich war die gebürtige Oberländerin Anita Siller Krankenschwester auf einer Frühchen-Intensivstation in Innsbruck. Dass sie einen Landwirt aus Neustift im Stubaital heiraten würde, war so nicht geplant. Dass sie selbst zur Landwirtin wird, schon überhaupt nicht. Heute ist sie es mit großer Leidenschaft. Anita züchtet am Untersillerhof Wachteln. Auch das war nicht geplant, sondern hat sich so ergeben. „Wenn ich schon einen Bauern heirate, dann möchte ich zumindest kreativ sein“, dachte sich Anita. Ideen hatte sie zu Hauf, Gatte Gerhard darauf zumeist die immer gleiche Antwort: „Machen wir nicht!“ Nicht aus Prinzip, sondern weil ein neues Projekt am Hof sich nahtlos in bereits Vorhandenes einfügen sollte. Am Biohof lebt das wunderbare Tiroler Grauvieh, man betreibt Milchwirtschaft, dazu kommen Hasen, Enten und Hühner sowie drei stilvoll-komfortable Ferienwohnungen, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit stehen ganz oben. Esel konnte sie durchsetzen, doch Anita wollte mehr, hat Betriebskonzepte geschrieben und versucht, ihren Mann zu überzeugen. Vorerst erfolglos. „Vergiss es“, hieß es. Doch Anita vergisst nicht.
Von Geduld und Argumenten
Trotz der Arbeit am Hof blieb Anita Siller noch lange in ihrem angestammten Beruf tätig. Dabei war sie laufend auf Kongressen und hat dort nicht nur viel gelernt, sondern stets auch gut gegessen. Eines Tages wurde eine Wachtel serviert und weil sie schon immer hinterfragt hat, welche Lebensmittel auf ihrem Teller landen, tat sie es hier ebenso. So lange, bis schließlich sogar der Koch an den Tisch kam und ihr die Delikatesse näherbrachte, die ihr folglich nicht mehr aus dem Kopf ging. Die Wachtel ist klein, braucht wenig Platz und ließe sich doch sicher am Hof halten, fand Anita. „Gerhard wollte keinen zusätzlichen Platz zur Verfügung stellen, weil Grund und Boden nun mal wertvoll sind. Am Hof stand jedoch ein kleines ungenutztes Gebäude, das man dafür verwenden könnte.“ Sie konnte!
In ihrem ersten Konzept ging die angehende Züchterin von 800 bis 900 Wachteln aus – eine Zweinutzungsrasse sollte es sein, für Eier und Fleisch, denn vor allem Wachtelfleisch aus Österreich ist rar. Auch Wachteleier abseits von Käfighaltung sind schwer zu bekommen. Mit 800 Wachteln zu beginnen, hielt Gerhard allerdings für „Wahnsinn“, Anita reduzierte auf 350 und begann mit den Vorbereitungen. Drei Jahre Vorlaufzeit sollte es brauchen, bis am Untersillerhof die erste Zuchtwachtel schlüpfte. Informationen waren schwer zu bekommen, vorrangig deshalb, weil es kaum Züchter*innen gab, und die, die es gab, rückten mit ihrem Wissen nicht heraus. Der Untersillerhof ist biozertifiziert, eine entsprechende Tierhaltungsverordnung für Wachteln gab es aber nicht. Und – vereinfacht gesagt: ohne Haltungsverordnung keine Biozertifizierung. „Ich habe mich bei vielen offiziellen Stellen erkundigt, welche Kriterien ich für die Bio-Wachtelzucht erfüllen muss, doch niemand konnte mir helfen“, blickt sie zurück. Laut Gesetz fiele man unter die Geflügelhalter, was sich als wenig praktikabel erwies. Wachteln sind nun mal keine Hühner. Und: Offiziell waren in Österreich damals 30 Wachteln pro Quadratmeter in Käfighaltung erlaubt. Für Anita Siller ein Unding: „Ich war schockiert und dachte, das muss auch anders gehen. Da ich keine Unterstützung bekommen habe, habe ich einfach gemacht.“ Und zwar gut. So gut, dass sie etwas später unter anderem als erste Praktikerin im Ministerium bei der Ausarbeitung der neuen Wachtelverordnung mitarbeiten durfte. Ohne Stimmrecht zwar, aber mit viel Expertise. Die 30 Wachteln pro Quadratmeter sind seit 1. Jänner 2025 (mit Übergangsfrist) übrigens Geschichte.
Learning by doing
Was Anita an Kriterien und Regularien für (künftige) Wachtelzüchter*innen mitgeschaffen hat, fehlte bei ihrem Start noch. Theoretisches Wissen hat sie sich über viele Jahre reichlich angeeignet, die Realität war eingangs dennoch hauptsächlich learning by doing. „Wir haben wahnsinnig viel ausprobiert und sehr provisorisch und klein angefangen“, blickt die Züchterin zurück. Bevor der Stall gebaut wurde, hat die Familie die Tiere im Haus gehalten, um sie zu beobachten und um zu schauen, wie sie leben, was sie benötigen und was die Tiere zum Wohlfühlen brauchen. Als der Stall adaptiert und eine Voliere angeschlossen war, hat sich Anita eine kleine Bank hineingestellt, um die Tiere weiter im Blick zu haben. Die steht auch heute noch da, denn „man lernt nie aus“, sagt die Landwirtin, die ihren eigentlichen Beruf vor noch nicht allzu langer Zeit endgültig aufgegeben hat. Schließlich sind heute auch drei Kinder zu versorgen.
Begonnen hat Anita vor sechs Jahren mit 25 Wachteln. Die ersten Versuche? „Katastrophal“, gibt sie zu. Auch wenn damals nicht viel in Erfahrung zu bringen war, eines war klar: Wollte man irgendwann der Qualitätsvereinigung Geflügel/QGV angehören, musste man die Zucht von Beginn an penibel dokumentieren und durfte keine Lebendtiere zukaufen: „Also haben wir Eier gekauft. Insgesamt haben wir zwölf Hersteller von Wachtel-Bruteiern ausfindig gemacht, sieben davon kamen für uns in Frage.“ Mit diesen sieben Genpools arbeitet Anita nach wie vor.
In der Tat ist die Aufzucht von Wachteln sehr sensibel, die Kükensterblichkeit entsprechend hoch. In der Regel werden Küken einmal eingestallt, Anita indes hat ihr eigenes System entwickelt. Nachhaltig, tiergerecht. Die ersten paar Tage kommen die empfindlichen Wachtelküken in einen Inkubator mit stets gleichbleibender Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Mit zunehmender Größe werden sie in die nächstgrößere Box bis ins „Jugendzimmer“ übersiedelt, einem uralten Stall mit Steinmauer, in den man über ein Fenster hineinschauen kann, bis sie in den regulären Stall und auch nach draußen dürfen. Zu viel Raum tut ihnen erfahrungsgemäß allerdings gar nicht gut, weiß Anita. „Die Wachtel ist grundsätzlich liebenswert dumm“, beschreibt sie. Das bestätigt auch eine Untersuchung des Verhaltensbiologen Louis Lefebvre von der McGill-Universität in Montreal, der zufolge die Wachtel in der Vogelwelt augenscheinlich die Dümmste wäre – knapp hinter Emu, Strauß und Schwalbe. „Wachteln haben ein wirklich sehr kurzes Kurzzeitgedächtnis. Wenn sie zu viel Platz haben, wissen sie nicht mehr, wo sich Futter und Wasser befinden“, erzählt Anita. Deshalb gibt es drinnen und draußen zahlreiche Futterstellen und Tränken. Und: „Wachteln können zwar fliegen, überlegen sich aber nicht, wo sie landen.“ Deshalb hat sie die Sitzstangen im Stall, die in der Geflügelverordnung für Hühner vorgeschrieben wären, entfernt, weil die Tiere teils dagegengeflattert sind. Schon allein aus diesem Grund macht eine eigne Wachtelverordnung Sinn. „Wir können die Wachteln im Winter auch nicht hinauslassen, weil sie es schlicht nicht hinkriegen, rechtzeitig ins Warme zu gehen.“
Überhaupt mögen Wachteln keine Kälte, sagt man. Am Untersillerhof kann man das so nicht bestätigen, wie hier generell einiges anders ist. Laut Anitas Recherche dürfe die Temperatur rund um die Wachtel nie unter 15 Grad fallen, außerdem bräuchten sie täglich mindestens 15 Stunden Sonne. Die Sillers bauten eine passende Wachtelstube, eingewandet und isoliert, mit Infrarot-Wärmepaneel und Sonnenlichtsimulator: „Das war alles super, bis wir draufgekommen sind, dass es das gar nicht braucht. Als im Stall über einige Zeit der Strom ausgefallen ist, war das den Wachteln völlig egal. Die sind selbst extrem gut isoliert.“
Mit acht Wochen jedenfalls ist eine Wachtel ausgewachsen und bereit für eine neue Generation: „Die Zucht geht wahnsinnig schnell voran, ist allerdings auch sehr intensiv.“ Vorrangig lebt am Untersillerhof die japanische Wildwachtel. Die ursprüngliche Wachtel ist braun und hat helle Streifen, alle anderen Gefieder sind Züchtungen. Da vom Start weg der Plan war, auch das Fleisch zu verwerten, wurden die Wachteln entsprechend größer gezüchtet, die Karkasse liegt bei rund 200 bis 250 Gramm. Eine durchschnittliche Legehenne wiegt zwischen 120 und 150 Gramm. Von Masttieren, wie man sie etwa aus Frankreich kennt, ist man dennoch meilenweit entfernt: „Unsere Tiere sollen noch aktiv sein und Spaß an der Bewegung haben. Unsere Wachteln sind sehr langlebig und robust.“ Tatsächlich sind die ältesten Wachteln am Hof rund sechs Jahre alt und damit fast doppelt so alt wie das durchschnittlich erreichbare Höchstalter. „Bei uns dürfen auch die Pensionist*innen am Hof bleiben und glücklich sein, auch wenn sie nicht mehr so viele Eier legen.“ Optisch sieht man den Wachteln ihr Alter im Übrigen nicht an. Beneidenswert irgendwie. Für das Fleisch werden die Tiere mit acht bis zehn Wochen geschlachtet, auch das ist im Vergleich relativ spät.
Geschlachtet wird in einem Schlachthaus im Ort. „Am Anfang haben wir uns eine mobile Geflügelschlachtung angeschaut, das hat nicht funktioniert. Viele Metzger waren mit den Wachteln außerdem überfordert, also haben wir sämtliche Ausbildungen gemacht, damit wir nun selber schlachten dürfen. Das Equipment ist unser eigenes, den Raum haben wir gemietet.“ Weil die Wachteln durch das ständige Übersiedeln innerhalb des Hofes Menschenkontakt gewohnt sind, ist der Gang in die Transportbox für sie nichts Ungewöhnliches. Das erlaubt es Anita einerseits, die Tiere zum Beispiel an Schulen mitzubringen, andererseits ist damit auch der Weg zum Schlachten für die Tiere ein entspannter. Das Fleisch ist ähnlich zu behandeln wie Hühnerfleisch, wird allerdings kaum trocken, weil Wachteln nur über intramuskuläres Fett verfügen. Auch mit der Gastronomie ist Anita Siller in regem Austausch, vor allem im Herbst steht die Wachtel immer öfter auf den Speisekarten. Das Fleisch kann man über die Homepage bestellen, Eier sind direkt am Hof erhältlich. Auch lebende Küken und legereife Wachteln sind auf Anfrage zu bekommen. Und Eierlikör.
Von Beginn an war Anita in professionellem Kontakt mit der QGV und irgendwann war es so weit. Die Vereinigung schickte einen Vertreter auf den Hof, um Anitas Werk(en) zu begutachten. „Der hat viele Fragen gestellt und ich hab argumentiert und begründet und erklärt, warum auch wir definitiv ein Qualitätsbetrieb sind.“ Das hat schlussendlich die QGV ebenfalls so gesehen und den Untersillerhof als Mitglied aufgenommen. Zwischenzeitlich sind auch die Bio-Richtlinien, an denen Anita Siller beratend dabei sein durfte, überarbeitet und seit 1. September in der neuen Version in Kraft. Fast selbstredend ist ihre Wachtelzucht mittlerweile biozertifiziert. „Hier bekam ich viel Unterstützung seitens der Bio Austria, ein herzliches Danke geht an Doris Hofer, die sich wirklich sehr dafür eingesetzt hat“, richtet Anita Siller Lob aus.
Heute ist man am Hof übrigens bei den ursprünglich avisierten 800 Wachteln. Es ist das Ergebnis aus Wagemut, Fleiß und ganz viel Hartnäckigkeit. Was mit einer Wachtel auf dem Teller begann, ist heute ein durchdachtes Kreislaufkonzept und ein Symbol dafür, was möglich ist, wenn jemand mutig genug ist, es einfach zu probieren. Und Anitas Mann Gerhard hat ohnehin immer schon gewusst, dass das Projekt Wachtel funktionieren wird. www.tiroler-wachtel.at
Text: Marina Bernardi
Fotos: Andreas Friedle